Draußen

Des Brötchens Wegbereiter

26. Februar 2023

Ich habe gelogen. Jetzt kann ich’s ja zugeben. Als ich mich vor acht Jahren bei diversen Tierschutzvereinen um einen Hund beworben habe, habe ich eine falsche Angabe gemacht. In langen Fragebögen musste ich damals ausführlich darüber Auskunft geben, wie ich einen Hund zu halten, zu ernähren und auszuführen gedenke, wer sich wann um den Hund kümmern würde, wie weit die nächste Grünfläche entfernt sei, wie es um meine Finanzen stünde und: Ob ich denn schon einmal einen Hund gehabt habe, wie alt er geworden und woran er gestorben sei. Mich schüchterten beinahe alle Fragen etwas ein, die letztgenannten aber ganz besonders. Denn ich hatte noch nie einen Hund und deshalb das deutliche Gefühl, mit der wahrheitsgemäßen Antwort meine Chancen erheblich zu minimieren. Natürlich wollte ich nun nicht gleich von einer wohlerzogenen Schar prallgesunder Hunde berichten, die durch mein Leben gezogen waren. Aber ich dachte, ich könnte mir wenigstens einen Hauch Hundeerfahrung andichten. Nur ein ganz kleines Bisschen, damit ich nicht völlig mittellos dastünde, was meine Hundehistorie betrifft.

Also schrieb ich auf diese Frage hin, ich sei mit einem Hund aufgewachsen (Foxterrier-Mix), er habe ein biblisches Alter erreicht und seither träumte ich von einem eigenen Hund, einen Wunsch den ich mir aus beruflichen Gründen nicht habe erfüllen können. Nun aber, durch meine Selbstständigkeit, sei der Weg endlich frei. Ja, ich weiß, zu lügen war nicht schön. Aber der eine Verein hatte mir mitgeteilt, man vermittle grundsätzlich nicht in größere Städte, der nächste, nicht an Berufstätige. Und dann auch noch die Sache mit der Hundeerfahrung. Ich dachte, ich würde es wohl sehr schwer haben beim Hunde-Parship. Zwar wüsste ich nicht, warum man besser für einen Hund sorgen sollte, nur weil man als Vierjährige seine Patschehändchen schon einmal in Hundefell vergraben hat. Aber ich sah nur das Stirnrunzeln hochmotivierter Tierschützer vor mir, die meine Bewerbung verärgert in den Papierkorb warfen und wollte sie für mich einnehmen.

Dabei gab es ja tatsächlich Hunde in meiner Kindheit, die Panini den Weg bereiteten. Zum Beispiel Anja, die Schäferhündin von Bekannten meiner Eltern. Anja war in meiner Erinnerung riesig groß und das Ehepaar, das bei ihr wohnte, liebte sie wie ein Kind. Ich erinnere mich, dass Anja und ich einander im Garten respektvoll näherten, uns nebeneinander setzten und einfach nur geradeaus guckten. Ich glaube, wir langweilten uns beide ein bisschen, weil es nur Erwachsenengerede gab und nichts, was für ein Kind und einen Schäferhund hätte aufregend sein können. Trotzdem erinnere ich mich gut an diesen gemeinsamen Moment. “Habe bereits als Kind schon einmal neben einem Schäferhund gesessen und geradeaus geguckt.” Ich vermute, den Tierschutzverein hätte das nicht beeindruckt.

Meine Mutter mochte Hunde auch, theoretisch hätten wir also gut einen Hund haben können. Sogar den Foxterrier habe ich nicht frei erfunden, denn meine Mutter mochte Jacky, den Hund von Robert Lembke, der in den 1960er Jahren regelmäßig im TV auftrat. Als Robert Lembke nach dessen Ableben das erste Mal ohne Jacky moderierte, kamen ihm dabei die Tränen. Das war schon was – es war damals nicht üblich, dass Männer im Fernsehen weinten. Robert Lembke hatte seither bei meiner Mutter einen Stein im Brett, mögen seine Sendungen noch so dröge gewesen sein. Lembke brachte übrigens schon 1966 einen Expertentalk zum Thema Hund mit dem schönen Titel “Kleine Hundekunde” auf den Bildschirm, aber das war nun wirklich vor meiner Zeit.

Meine Mutter hatte als Kind selbst einen Hund gehabt, einen Rauhaardackel namens Eule. Eule muss ein typischer unwiderstehlicher Dackel gewesen sein, der den Postboten verabscheute und Kissen zerfledderte. Seine Jagdleidenschaft gegenüber allem, was rollte, wurde ihm leider zum Verhängnis und er kam unter einem Auto zu Tode. Weder Jacky noch Eule war ich persönlich begegnet, aber dennoch wuchs ich mit ihren Geschichten auf. Vielleicht habe ich ja auf dem Formular nur ein ganz kleines Bisschen geflunkert.

Außerdem hatten wir ja auch noch einen Wellensittich, der uns zugeflogen war. Man kann also sagen, dass unsere Familie eine solch immense Tierkompetenz ausstrahlte, dass sich ein Tier bereits aus freien Stücken in deren Obhut begab. Wenn das kein Argument ist, mir einen Hund zu überlassen … Der Sittich hieß Stanley, da ich ein großer Fan von Laurel & Hardy war, aber natürlich kam uns der Name bald zu exaltiert vor und so schliff er sich in einer Art Lautverschiebung zu “Tenny” ab. Ich habe also durchaus Tiernamensgebungserfahrung, auch dafür sollte es im Formular der Tierschutzvereine eine Zeile geben. Tenny führte ein erbarmungswürdiges Leben, denn er blieb ein Einzelsittich in einem nicht allzu großen Käfig, denn damals wussten wir nicht, wie sehr diese Vögel die Gesellschaft von ihresgleichen brauchen. Im Gegenzug weigerte sich Tenny, zahm zu werden, er liebte Heino und mauserte das Wohnzimmer voll. Wir mochten ihn sehr und er wurde grotesk alt.

Später dann traten mit Boss und Baldur zwei ganz reale Dackel in mein Leben. Ich hatte kurz wegen der Persönlichkeitsrechte der Hunde überlegt, die Namen zu ändern, aber der Name Boss ist nur schwer zu ersetzen, zumal der dazugehörige Hund ihn voll und ganz ausfüllte. Das schwarze Tier mit einem hübschen Kopf mit braunen Zeichnungen, zog wie verrückt an der Leine, rammelte gerne an Beinen herum und roch ungeheuer übel aus der Schnauze. Seine Familie, die zugleich die Familie einer Freundin war, hatte er voll im Griff. Wenn er keine Lust hatte, spazieren zu gehen, setzte er sich auf dem Bürgersteig hin und war keinen Zentimeter mehr nach vorn zu bewegen. Dann musste man ihn tragen. Baldur, den Hund einer anderen Freundin, habe ich als nicht ganz so stur in Erinnerung, aber der war auch von edlem Geblüt, wenngleich er zum Bellen neigte.

Kein Retro-Filter nötig: Die Dauerwelle, Strolchi und ich.

Der liebste Hund von allen war aber Strolchi, der Hund meiner besten Freundin. Er war ein Findelhund, den man mehrere Wochen im Wald gesehen hat, bevor es jemandem gelang, ihn einzufangen. Strolchi hatte schöne braune Augen, ein drahthaariges Fell in der Farbe “Pfeffer & Salz” mit braunen Einsprengseln, ein kleines Bärtchen und lustige Ohren. Sie war ein Mädchen, etwa so groß wie Panini, menschenfreundlich und lässig. Da sie sich eine Weile allein durchgeschlagen hatte, fraß sie alles, was sie auf dem Boden fand, “selbscht Gmüs!” wie die Mutter meiner Freundin in ihrem unverwechselbaren badischem Sound zu sagen pflegte. “Gmüs” vertilgte sie tatsächlich jederzeit, aber keine Pilze. Niemals. Die Familie vermutete, sie habe damit im Wald einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Strolchi war eine Überlebenskünstlerin, sie hatte die Ausstrahlung eines Hundes, der das Leben mit all seinen Facetten verstanden hat und dem man nichts vormachen kann. Sie machte jeden Ausflug und jeden Unfug mit, den wir uns als pubertierende Mädels ausgedacht hatten. Als meine Freundin und ich uns auseinanderlebten, verlor ich auch Strolchi aus den Augen. Ihre Aura aus Freundlichkeit und Abenteuerlust wirkt aber bis heute in mir nach.

Strolchi in froher Erwartung von irgendwas

Man kann das alles natürlich nicht an einen Tierschutzverein schreiben. Aber Frage nach den “früheren Hunden” unbeantwortet lassen wollte ich nun eben auch nicht. Übrigens war meine Flunkerei nicht ausschlaggebend für Paninis Einzug – im Auskunftsbogen des Vereins, der sie vermittelte, habe ich keine Foxterriergeschichte zum Besten gegeben und selbst den Wellensittich verschwiegen. Mein Gewissen ist also rein.

Titelbild © Anastasia Lashkevich – pexels.com

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1 Kommentar

  • Antworten Anna 24. April 2023 um 7:50

    Danke für den schönen Text an einem sonnigen Morgen!

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