Aua Draußen Drinnen

Panini-Album 2020 – 2024

19. Februar 2024

Der letzte Teil des Albums fiel mir naturgemäß am schwersten. Nicht nur, weil es keine Fortsetzung geben kann, sondern auch, weil diese Jahre für Panini und mich so anstrengend waren. Ich dachte, mit etwas Abstand wäre es leichter, dies alles noch einmal Revue passieren zu lassen, aber das Gegenteil ist wohl der Fall. Nach einer ersten Phase der Gefasstheit bin ich nun in einer sehr intensiven Zeit der Trauer angekommen. Das Hundebett steht noch immer neben dem Schreibtisch und einzig die Hundedecken sind gewaschen, Paninis Mäntel und Geschirre hängen an ihrem Platz, als warteten sie auf ihren Einsatz. Im Moment ist es besonders ihre Persönlichkeit, die mir fehlt, das ganze einzigartige Brötchen-sein. Während ich in den ersten Wochen am liebsten jeden Hund gekidnappt hätte, weil sie mich alle an Panini erinnerten, richtet sich heute mein ganzes Herz nur auf diesen einen Hund. Der so besonders war und um dessen Gesundheit ich jahrelang gerungen hatte.

Als 2014 feststand, dass Panini operiert werden musste, habe ich mich nach einer Tragehilfe für die Treppe umgetan. Dabei traf ich im Netz auf eine Frau, die eine eigene Tragehilfe für ihren Golden Retriever konzipiert hatte, der ein großes Sorgenkind war. Ich las, dass er im Laufe seines Lebens elf Mal operiert werden musste – er hatte so ziemlich alle Probleme im Bewegungsapparat, die man so haben konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was die Frau mit ihrem Goldie durchgemacht hatte und ich verstand auch nicht, was sie durchmachte, als er starb. Was sie schrieb, konnte ich gar nicht richtig fassen, sie schien außer sich zu sein und bezog sich immer wieder auf die schwierigen Zeiten, die man durchkämpft habe, all die Sorge, die schwierigen Nächte, das Glück, wenn man allen schlechten Chancen zum Trotz doch Erfolge erringen konnte. Heute verstehe ich sie ein bisschen besser. Die Beziehung, die man zu Sorgenkindern hat, ist wahrscheinlich besonders. Und die Rückschau kann nie nur fröhlich sein, sie ist immer bittersüß. Panini war ein Sorgenkind, fürwahr, und mehr als jedes andere Lebewesen hat sie mein Herz geweitet. Und sie hatte immer die Exklusivrechte, ich hätte nie einen zweiten Hund haben können, weil sie meine ganze Kraft und Liebe brauchte. Entsprechend viel Raum braucht jetzt meine Trauer.

2020

Das erste Pandemie-Jahr. Als das ganze Schlamassel begann, fühlte ich mich unbesiegbar. Ich wusste, solange das Brötchen bei mir ist, ist alles gut. Und so war es auch. Von “Social Distancing” hatte dieser Hund schließlich noch nie was gehört. Sie selbst beschäftigte ja ein umfassendes Medical-Team aus Tierärzten, Physiotherapeutinnen und Osteopathen. 2020 wurde sie zum zweiten Mal mit Blutegeln behandelt, das Bild zeigt die charakteristischen Krusten, die sich danach bilden. Zudem hatte sie begonnen, Atemgeräusche zu entwickeln und ich war mir sicher, dass es sich dabei nicht um altersbedingtes Schnarchen handelte. Aber niemand außer mir fand das Ganze irgendwie beunruhigend. Das Brötchen hatte derweil ihre Leidenschaft für Rüben entdeckt und zerknurpste sie in jedem Alter und Zustand. Kleine Stücke durfte sie mampfen, sie vertrug sie blendend, wie zuvor die vergammelten Äpfel und Birnen.

2021

Dieses Jahr hat uns beiden einiges abverlangt. Paninis Nasenspiegel war einseitig massiv angeschwollen, der Schnupfen und die Atemgeräusche waren nicht mehr zu beschönigen. Ich ließ eine Rhinoskopie vornehmen, um nach der Ursache zu suchen. Von Zahnproblemen über Schimmelpilze bis hin zu einem Tumor kam alles in Betracht. Aber es wurde nichts gefunden. Am Ende deutete vieles auf eine chronische Rhinitis hin, die entweder allergisch oder autoimmunbedingt sein kann. Wir kamen nicht weiter, nichts half. Doch eine Tierärztin hatte einen Plan und ab da waren wir sehr oft dort, anfangs mehrfach in der Woche. Jeder Besuch bedeutete 1 Stunde Anfahrt mit dem Carsharing-Auto. Die Behandlung, die aus mehreren Elementen (vor allem TCM) bestand, führte endlich zu einer deutlichen Besserung, die dicke und stark entzündete Nase schwoll ab. Doch eine Heilung der Erkrankung war nicht möglich, chronische Rhinitis bei Hunden bleibt in der Regel für immer. Ich war verzweifelt. Als hätte Panini nicht schon genug Baustellen gehabt. Mit Hilfe eines Verneblers bekam sie fortan Inhalationen, vor allem mit Emser Salz. Sie mochte sie sehr. Im März 2021 wurden wir wegen einer Bombenentschärfung evakuiert. Da ich meine betagte Nachbarin im Schlepptau hatte, gingen wir in die zu diesem Zweck hergerichtete Sporthalle. Das ganze dauerte sieben Stunden, die wir drei dort ausharrten. Panini war großartig, ich werde nie vergessen, wie sie auch meine Begleitung immer wieder aufmunterte. Im Oktober starb meine Nachbarin nach einer intensiven Pflegephase, an der auch ich beteiligt war. Zuhause, wie sie es sich gewünscht hatte. Panini stand mir in der schwierigen Zeit intensiv bei, sie verbrachte jede Nacht im Bett, eng an mich gedrückt, was sie schon länger nicht mehr regelmäßig gemacht hatte. Wir waren viel im Garten, jeden Nachmittag durfte Panini dort Leckerchen suchen, bei jedem Wetter. Sie liebte es über alles.

2022

Paninis niedliche zweifarbige Gumminase blieb ein Dauerthema. Manchmal wurde sie außen trocken und bildete Krusten, dann musste man intensiv cremen. Jeden Morgen entfernte ich die inneren Schnupfenkrusten, die manchmal ein Nasenloch komplett verschlossen hatten. Vor dem Schlafengehen bekam sie ein Salzspray in die Nase, das half etwas. Es gab gute und schlechte Phasen. Manchmal schien der Schnupfen fast ganz abgeklungen, manchmal hatte sie schlimme Anfälle von Rückwärtsniesen oder musste so heftig niesen, dass die Nase blutete. 2021 hatte sich auf ihrer Stirn eine große Beule gebildet, 2022 verschwand sie wieder. Sie hatte kleine Zubildungen an und neben den Augen, die verschwanden 2023 komplett. Plötzlich mochte sie wochenlang nicht mehr normal fressen, dann fraß sie wieder wie immer. Paninis Symptome waren oft rätselhaft, kamen und gingen. Akupunktur tat ihr immer gut. Im Februar hatte ich Corona und das Brötchen betätigte sich als eine äußerst liebevolle Krankenpflegerin. Ein neues abwaschbares Hundebett wurde angeschafft, vor allem der Hygiene wegen. Panini rotzte manchmal schlimm. Ich kaufte eine genähte Stoffrolle, die eigentlich für Babybetten gedacht ist, um ihr das Atmen und Kopfablegen zu erleichtern. Das wichtigste und schönste Ereignis 2022: Unser Urlaub im Allgäu. Panini fuhr Bergbahn und wurde im Buggy umhergeschoben, weil sie keine längeren Spaziergänge mehr schaffte. An kalten Tagen trug sie im Winter jetzt einen leichten Schlafanzug. Sie sah ungeheuer niedlich aus darin.

2023

Panini schlief immer mehr und ich versuchte, es ihr dabei so gemütlich wie möglich zu machen. Ich kaufte weiche Kissen und Decken in Mengen. Wegen des Schnupfens wechselte ich sie oft. 2023 ging ich zwei größere medizinische Themen an. Schon lange bekam Panini alternative Unterstützung für ihre schwächelnde Schilddrüse und ich war der Überzeugung, dass das nicht mehr reichte. Sie hatte begonnen, oft heiser zu hecheln, war extrem schlapp und es gab noch viele andere Dinge, die darauf hindeuteten, dass sie ein Schilddrüsenhormon bekommen sollte. Ich suchte eine spezialisierte Tierärztin und obwohl ich üble Erfahrungen mit ihr machte, hatte ich am Ende ein aussagekräftiges umfassendes Blutbild in den Händen, das meine Vermutung bestätigte. Immerhin noch ein halbes Jahr konnte Panini vom Schilddrüsenhormon profitieren, das Hecheln verschwand komplett und sie wurde insgesamt wieder wacher. Im April ließ ich ihre Zähne untersuchen und reinigen, es gab da eine fragwürdige Stelle und man konnte nicht ausschließen, dass sie nicht doch in Verbindung mit der Nase stand und eine Entzündung begünstigte. Ob Panini an dieser Stelle Schmerzen hatte, konnte mir niemand sagen, aber auch nicht ausschließen. Die Zahnärztin riet mir dazu, den Zahn entfernen zu lassen und das tat ich dann auch. Paninis Schnupfen ging davon nicht weg, aber anders als in den Jahren zuvor entzündete sich ihre Nase im Sommer nicht. Sie durfte jetzt so ziemlich alles und auch im letzten Jahr führten wir noch neue Rituale ein. Im Sommer bekam sie manchmal ein bisschen Joghurt-Eis im Becher, jeden Freitag kauften wir auf dem Wochenmarkt in der Nachbarschaft zwei kleine Frankfurter Würstchen, die wir uns teilten (ich esse sonst nie Wurst). Wegen der Nierenwerte achtete ich sonst streng auf den Phosphatgehalt der Rationen, aber dieses Würstchen machte ihr soviel Freude, dass die Ausnahme erlaubt war. In den warmen Monaten bot ich Panini immer eine Kunstledermatte an, damit sie sich in der Hitze ausstrecken konnte, aber nicht auf dem harten Boden lag. Normalerweise räumte ich die im Herbst wieder weg, weil sie dann lieber eingekuschelt lag. In diesem Jahr bevorzugte Panini tagsüber aber weiterhin das ausgestreckte Liegen und so machte ich die Matte mit Bettbezügen und Decken wintertauglich. Sie sollte immer so liegen, wie es ihr am bequemsten war, aber ich wollte auch vermeiden, dass es am Boden zu kühl würde. Sie hatte begonnen, mehr und mehr auf dem Laminat zu rutschen und ich hatte rund um die Matte alles mit Teppichen ausgelegt. Im Dezember wurde sie jedoch immer schwächer, bis sie plötzlich am 28.12. nicht mehr alleine aufstehen konnte. Das letzte Foto für 2023 hier zeigt sie am 29.12. Sie war wie über Nacht deutlich gealtert, ihr Köpfchen schien ganz weiß zu sein. Ich wusste, dass unsere gemeinsame Zeit abläuft, aber begreifen konnte ich es nicht.

2024

Keine Angst, alle drei Bilder zeigen Panini lebend. In den ersten Tagen des Jahres war sie sehr schwach. Es wurde immer deutlicher, dass sie am Ende ihres Lebens angekommen war. Sie hatte in der Nacht vom 2. auf 3. Januar einen beängstigenden Husten entwickelt und ich wollte ihr keine weitere Nacht mehr zumuten. Ich blieb bei ihr, ließ ihr aber auch die Ruhe, die sie brauchte. Ich legte mich öfter zu ihr und telefonierte viel, so hörte sie meine Stimme und wusste, dass sie nicht allein war. Immer wieder schleckte sie mich ab. Es gibt kein größeres Privileg, als von einem Hund in seinen letzten Stunden abgeschleckt zu werden. Sie wusste, dass sie bald gehen würde, sie wusste immer alles.

Das Foto neben Paninis Bild zeigt unsere Nachbarin im Alter von 4 Jahren neben ihrer Mutter, die auch schon hier im Haus wohnte. Sie stehen auf dem zugefrorenen Main vor dem Eisernen Steg in Frankfurt. Die Altstadt, 1944 durch Bomben zerstört, ist damals noch unversehrt. Es scheint, als ob die Zeit vergeht und alles mit sich hinfortreißt, aber das stimmt nicht. Auf einer deutschen Tiervermittlungs-Webseite werden jeden Tag zwischen 500 und 1.000 neue Anzeigen für Hunde eingestellt, die meisten von ihnen sind Tierschutzhunde aus dem Ausland. Dieser eine Hund kam zu mir und teilte 9 Jahre lang das Leben mit mir. Wir wissen nicht, was Zufall, was Bestimmung ist. Aber es sollte so sein. Mein Leben vor ihr war ein anderes als das nach ihr. Sie gab mir so viele Lektionen mit und wenn ich eine gute Schülerin sein will, muss ich noch viele Hausaufgaben machen. Die Welt ist ein besserer Ort durch die Klugheit, Lebensfreude und Liebe, die Hunde im Gepäck haben. Panini hatte besonders viel davon.

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6 Comments

  • Reply Sonja 19. Februar 2024 at 18:00

    Es ist herzzerreißend… Und doch können Sie noch so schön schreiben!
    Seit Dienstag weiß ich nun selbst, wie schwer, eigentlich unmöglich, es ist, sich von seinem geliebten Sorgenhund zu verabschieden – es wird sicher sehr lange dauern, bis wieder Freude ins Leben einkehrt.
    Alles Beste und viel Kraft für Sie!

    • Reply Heidi 19. Februar 2024 at 18:05

      Das tut mir sehr leid. Für Sie ebenfalls alles Beste!

      • Reply Sonja 20. Februar 2024 at 21:48

        Danke!

  • Reply Elli 19. Februar 2024 at 19:42

    Ach Heidi.
    Deine Worte und Fotos bringen die Erinnerung an meine Shira zurück. Danke dafür!
    Es ist jetzt vier Jahre her, seit sie mich verlassen hat, und seit drei Jahren hat meine kleine Rumänin Hope den Platz neben ihr in meinem Herzen eingenommen. Anfangs war sie ein Ersatz für Shira und ein Trost für mich. Heute ist sie weit mehr als nur ein Hund. Der Kreis hat sich geschlossen.
    Die Schriftstellerin Elisabeth Castonier hat geschrieben: “Gott schenkt uns Erinnerungen, damit wir Rosen im Dezember haben.”

  • Reply Doris Stadel 20. Februar 2024 at 8:27

    Liebe Heidi wie alle Deine Berichte habe ich auch diesen mit großem Interesse gelesen. Doch dieser treibt mir die Tränen in die Augen… So leidenschaftlich und liebevoll. So voll Traurigkeit und doch spürt man die Liebe und die Verbundenheit mit Brötchen, die noch immer vorhanden ist. Es erinnert mich an die Verluste unserer beiden Hunde Branco und Alta, die nacheinander bei uns waren. Jedesmal war die Trauer groß, nachdem sie über die Regenbogenbrücke marschiert waren. Und jedes Mal anders, auch sehr intensiv und langanhaltend. Ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft für diese außerordentliche Zeit der Traurigkeit, der Trauer. Diese wird mit der Zeit weniger, aber es wird immer etwas Trauer dabei sein, wenn Du einmal voll liebevoller Erinnerung an Panini denkst. Uns geht es heute noch so – nach 15 bzw. 5 Jahren… Alles Liebe und Gute für Dich und traurigen Grüßen Doris

  • Reply Nicole 26. Februar 2024 at 15:18

    Liebe Heidi,
    Dein Blog und Dein Buch begleiten mich, seit ich vor 5 Jahren selbst Frauchen einer chronisch kranken Tierschutzhündin geworden bin – immer tief beeindruckt, berührt und amüsiert von Deiner einzigartigen Art, Euer Leben zu teilen.
    Ich liebe Deinen Schreibstil und habe mich so oft in Deinen Texten wiedergefunden. Und einige gute Tips abgestaubt;-)
    Die Quintessenz war für mich aber immer das, was “zwischen den Zeilen” schwebt: die Intensität der Gefühle und der Beziehung zueinander, die Liebe und Fürsorge (und die ganze Palette von Emotionen, die da noch dranhängt), die diese pelzigen Wunderwesen in uns entfachen können.
    Es hat mich tief berührt, Paninis Zeit mit Dir durch die Alben Revue passieren zu lassen – dort spiegelt sich noch mal, was in all den Beiträgen der ganzen Jahre deutlich wurde: Ihr habt beide unendliches Glück gehabt, dass ihr euch gefunden habt und die Zeit miteinander verbringen konntet.
    Mit ganz lieben Grüßen, Nicole

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