Draußen Drinnen

Panini-Album 2014 – 2016

11. Januar 2024

Panini hat vielen Menschen etwas bedeutet, selbst solchen, die sie nie persönlich getroffen haben. Einmal kam uns bei einem Spaziergang ein uns unbekannter Mann entgegen, der die ganze Zeit mit leuchtenden Augen meinen Hund ansah. Endlich schien er mich auch zu bemerken und sagte strahlend: “Das ist Panini, oder? Ich habe sie an den Ohren erkannt!” Panini schenkte Freude und das tut sie immer noch, wenn ich ihre Fotos ansehe. Wir haben keinen schicken Instagram-Account, nie ein professionelles Shooting im Blütenmeer gebucht. Ich habe meine Smartphones immer lange benutzt, die Kameras hinkten dem technischen Stand hinterher und fabrizierten schlecht belichtete, grobkörnige Abbilder. Unseres Selfies waren immer merkwürdig, zumal Panini nicht gern fotografiert wurde, warum auch immer. Ihr Protest äußerte sich in weggucken, extra doof gucken, mich abschlecken oder mir auf die Brille dippsen, zu nah an die Linse kommen oder vollkommen aus dem Blickfeld verschwinden. Nur wenn sie zu mir ins Bett kam, war ihr die Kamera total egal. Natürlich gibt es auch ein paar ansehnliche, hochwertige Bilder, aber es sind für mich nicht die wichtigsten, ich zeige hier kaum welche. Wir waren auch nicht oft in Urlaub, es gibt keine Fotos mit spektakulären malerischen Landschaften. Es gab meistens nur entweder Tierarzt oder Urlaub, beides hätte das Budget gesprengt.

Als ich jetzt eine Auswahl treffen wollte, habe ich mich auf die Fotos konzentriert, die etwas über unser gemeinsames Leben aussagen, die typisch für unseren Alltag sind. Und auch wichtige Meilensteine sind dabei. Die gesundheitlichen Themen will ich dabei nicht ausklammern, auch wenn sie nicht schön sind. Denn auch die haben unseren Alltag geprägt. Vielleicht kann ich mit den Bildern Paninis Leben erzählen und festhalten. Für mich und für alle, die sie mochten. Ach ja, es gibt auch Videos von ihr und gar nicht mal wenige. Ich hatte die meisten nur längst vergessen, denn sie waren nicht für irgendeinen besonderen Zweck erstellt worden, nur einfach mal so zwischendurch. Einige davon würde ich auch gern hier zeigen, aber ich hatte noch keine Energie dafür, sie aufzubereiten. So bleiben wir für diesen ersten Teil des Panini-Albums bei Bildern und ich erzähle etwas dazu. Los geht’s.

2014

Panini stammte aus einem vergleichsweise kleinen Canile in der Nähe von Rom, das es heute nicht mehr gibt. Ihre Vorgeschichte war gänzlich unbekannt. Eigentlich hatte sich die Tierschutzorganisation eher auf ältere Hunde spezialisiert, aber Panini war aufgefallen, denn sie hasste es, im Matsch zu stehen. Anders als die anderen Hunde balancierte sie immer am Rand entlang. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwer beides für einen Hund mit einem unbehandelten Kreuzbandriss war – das Balancieren und das im Matsch herumlaufen. Sie fiel so sehr auf, dass ein Bild von ihr zur Dokumentation der schwierigen Verhältnisse im Canile benutzt wurde. Die Frau von der Tierschutzorganisation hatte Mitleid mit ihr und wählte sie für eine Pflegestelle aus, obwohl sie nicht ins Beuteschema passte. Sie dachte, so einen jungen netten Hund kriegt man immer unter.

Als ich Panini auf einer Webseite fand, war sie noch in Italien, sollte aber am Wochenende darauf auf eine Pflegestelle in meiner Nähe kommen. Ich besuchte sie einen Tag nach ihrer Ankunft. Sie begrüßte mich, als wäre ich eine lange verschollene Freundin und wir gingen zusammen spazieren. Ich bestand auf einem Arztbesuch und einem Test auf Mittelmeerkrankheiten, denn der war noch nicht gemacht worden. Ich wollte mit dem Hund joggen gehen, ein Gesundheitscheck war mir wichtig. So kam es, dass Panini schon zweimal mit mir zum Arzt gegangen war, bevor sie überhaupt offiziell zu mir gehörte. Ich hatte keine Ahnung von Tierärzten, sie auch nur ein bisschen, aber wir ließen es uns beide nicht anmerken und gingen ganz cool zusammen dorthin. Er stellte eine Verletzung im rechten Knie fest und ich konnte es nicht fassen. Wie gemein konnte das Leben sein – mein Laufhund-Mix konnte nicht laufen. Möglicherweise würde sie operiert werden müssen, das war noch nicht klar. Ich hatte einige schlaflose Nächte. Die Pflegestelle wollte mir den Hund geben, die Verletzung wurde heruntergespielt. Ich nahm die Sache hingegen ernst und hatte nicht das Gefühl, dass Panini, die damals noch Ginny hieß, mit ihrer Verletzung in der Pflegestelle gut aufgehoben war. Dort waren mehrere bedürftige Hunde und die Tiere waren immer wieder länger ohne Aufsicht. Auf dem Bild aus der Pflegestelle sieht man, wie sie das rechte Hinterbein entlastet. Ich wollte sie dort nicht zurücklassen. Sie hatte mich sehr beeindruckt mit ihrer Zugewandtheit. Alles an ihr strahlte Zuversicht und Neugier aus. Ich konnte das erste dünne Band, das zwischen uns entstanden war, nicht mehr trennen (wozu übrigens auch das hier als Titelbild gezeigte Foto beitrug, das ich bei meinem ersten Besuch von ihr gemacht hatte).

Am 22. November 2014 traf ich Panini zum ersten Mal, am 3. Dezember zog sie bei mir ein und am 21. Dezember wurde sie zum ersten Mal operiert. Das war viel auf einmal für uns beide. Ich hatte nicht nur zum ersten Mal einen eigenen Hund, sondern auch gleich einen frisch operierten und musste die Hundepflege im Hauruck-Verfahren lernen und viel an ihr herumfummeln. Panini hatte Ohrmilben und Giardien, eine Bindehautentzündung und sie roch streng. Sie brauchte Ohrentropfen und Augentropfen, musste Tabletten nehmen und nach der OP einen Kragen tragen. Den entfernte sie sich immer wieder selbst – trotz aller tierärztlicher Tricks – in Windeseile. Aber sie war sehr schnell ganz und gar mein Hund. Stundenlang lag sie auf dem Sofa neben mir und staunte mich an. Oder sie legte sich in den Flur und lugte um die Ecke ins Arbeitszimmer, um mich anzusehen. Dann packte ich sie in eine Decke, damit es ihr im zugigen Flur nicht kalt wurde. Im Canile gab es keine Decken, keine Körbchen, keine Wannen. Die Zwinger waren vollkommen leer, sieht man einmal von der üppigen Flohpopulation ab, die dort wohnte. Ich kaufte Panini ein Hundekissen, aber ich verstand schnell: Das Tier braucht ein richtiges Bett mit Rand.

2015

Leider war es mit einer OP nicht getan – im April musste Panini nachoperiert werden. Wieder eine Narkose, achtgeben auf die frische Naht und die Verweigerung des Kragens. Mit der Zeit erholte sie sich mit Hilfe von Physiotherapie. Das Schwimmen im Hundeschwimmbad machte ihr keine besondere Freude, aber sie ließ sich dazu überreden. Kekse und Quietschetiere halfen dabei. So konnte sie nach und nach kräftiger und stabiler werden. Auf die Treppe sollte sie noch nicht gehen. Ich hatte viele Dinge ausprobiert und eine eigens hergestellte Tragehilfe bestellt, aber nichts funktionierte so gut, unkompliziert und reibungslos wie das Tragen auf dem Arm. Wenn ich schätzen sollte, würde ich sagen, dass ich Panini in neun Jahren bestimmt insgesamt sechs Jahre lang auf der Treppe getragen habe. Mindestens. 3 Altbau-Stockwerke, 70 Stufen, 17,5 Kilo. Anfangs fürchtete ich mich vor dem Runtergehen, man sieht keine Stufen mehr, wenn man einen Hund auf dem Arm trägt. Mit der Zeit hätte ich sie jedoch blind tragen können, sie wurde zu einer natürlichen Erweiterung meines Körpers. Wenn ich den rechten Arm unter ihre Rute schob, ließ sie sich bereits fallen. Sie verstand schnell, was es mit dem Tragen auf sich hatte und als sie in guten Zeiten die Treppen selbst lief, musste sie mich nur kurz ansehen, damit ich verstand, dass sie heute doch mal wieder getragen werden wollte. Obwohl ich so unglaublich viel Zeit mit ihr auf dem Arm verbracht hatte, gibt es meines Wissens nur dieses eine Foto von uns aus der Anfangszeit.

Im Sommer brachte ich sie zu einem Hundefriseur. Es sollte ein Neuanfang sein – alle alten, überflüssigen, muffeligen Haare aus Italien verlieren und sauber in ein neues Leben starten. Ich hatte den Eindruck, dass sie es mochte, aber es blieb bei diesem einen Besuch. Mit der Umstellung von minderwertigem Trockenfutter auf hochwertiges Nassfutter verschwand der strenge Körper- und Fellgeruch, das Fell wurde weich und roch höchstens mal nach frischem Butterkeks. Wir verbrachten den ersten Urlaub im holländischen Callantsoog zusammen und das Tier war rundum zufrieden mit sich und der Welt.

Im September wurde sie auf dem Gehweg von einer englischen Bulldogge attackiert und gebissen, die sich auf der anderen Straßenseite aus ihrem Geschirr gewunden hatte. Danach war mein Hund nicht mehr derselbe. Sie brauchte lange, um ihre Angst vor anderen Hunden im allgemeinen und Bulldoggen im besonderen wieder abzulegen. Ihr ganzer Körper war voller alter Narben, die von früheren Hundeattacken zeugten. Wie gern hätte ich ihr ein erneutes traumatisches Erlebnis im vermeintlich sicheren Deutschland erspart. Das erste Mäntelchen wurde gekauft, dem unzählige weitere Mäntel, Jacken und Pullover folgten.

Am 23. Dezember 2015 riss das Kreuzband auf der anderen Seite. Und der Weihnachtsspaziergang erfolgte im Bollerwagen.

2016

In Sachen Gesundheit waren die Jahre 2016, 2020 und 2023 die vielleicht aufreibendsten. Paninis Kreuzbandriss auf der linken Seite wurde operiert, aber sie kam danach nicht auf die Füße. Das Knie blieb instabil. Wir mussten wieder nachoperieren lassen, dieses Mal entschied ich mich für eine TPLO, eine aufwändige OP-Methode, bei der Knochen zersägt und mit einer Metallplatte neu fixiert wird. Eine richtige, aber keine leichte Entscheidung. Neun Tage lang ließ ich sie keine Minute allein – da sie ja den Kragen nicht trug, musste man auf sie aufpassen. Nachts lag ich neben dem Hundebett und war bei dem kleinsten Schleckgeräusch glockenhell wach.

Panini ging es lange nicht gut und ich kaufte einen Hundebuggy, um ihr trotzdem die Abwechslung von Spaziergängen zu bieten. Sie nahm ihn gern an. Doch der Bewegungsapparat blieb trotz Physiotherapie eine Baustelle. Ich fuhr mit ihr nach Schweinfurt in die Praxis Dr. Horch um sie untersuchen zu lassen und entschied mich dann für eine Goldimplantation, auf die die Praxis spezialisiert ist. Dort riet man uns auch zur individuellen Anfertigung von Orthesen. Sie gaben mir im Sommer die Sicherheit, dass Panini mit stabilen Knien laufen konnte. Doch nach einer Weile mochte Panini die Orthesen nicht mehr und sie fand, ich sollte sie mal schön selber tragen. Langsam kam sie auf die Füße und das Spazierengehen machte ihr wieder Freude. Die Couch gehörte schon lange nicht mehr mir allein – wo ich war, war sie auch. Wenn ich mal krank war, wich sie nicht von meiner Seite – genau wie umgekehrt. In nur zwei Jahren hatte ich sie durch vier Operationen und fünf Vollnarkosen geschleppt und sie vertraute mir einfach, dass schon alles gut werden würde. Und das wurde es auch, so gut wie es eben mit dieser Vorgeschichte werden konnte.

Fortsetzung folgt!

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7 Comments

  • Reply Kirsten 11. Januar 2024 at 14:37

    Danke, dass du uns mit auf diese Reise der Erinnerungen nimmst!

  • Reply Brigitta 11. Januar 2024 at 15:02

    ….schluchz. Die Erinnerungen mit Panini sind eine Erinnerung in die Vergangenheit mit meinen Hunden. Bittersüß.

  • Reply Martina Monti 11. Januar 2024 at 18:18

    Aus jeder Zeile und dem Raum zwischen den Zeilen spricht Verliebtsein. Gegenseitig. Wie kam Panini eigentlich zu ihrem Namen?

    • Reply Heidi 11. Januar 2024 at 18:48

      Ich wollte einen italienischen Namen für sie. Erst dachte ich, sie könnte vielleicht Pizza heißen, aber Panini war so gar keine Pizza. Aber ein Brötchen, das war sie. Schon rein optisch! Und außerdem war sie viele, deshalb passte der Plural auch. Nachdem ich sie getauft hatte, fiel mir dann auch noch auf, dass ich ja selbst zwei “i” im Vornamen habe und dass es deshalb auch klanglich gut zu mir passt. Wenn ich beim Tierarzt anrief, sagte ich “Hier ist Heidi Schmitt mit Panini” und den TFAs wurde immer ganz schwindelig vor lauter “i”. Das war schön.

  • Reply Monika Fuhrländer 11. Januar 2024 at 18:33

    Einfach ein Seelenhund!
    Danke für die Reise

  • Reply Antje Strauch 11. Januar 2024 at 19:33

    So schön, dass es Menschen gibt die alles für ihren Hund geben und so schön, dass es Hunde gibt, die einfach 100 Prozent zu ihrem Menschen passen. Ich liebe diese Geschichten. Es tut so gut 💞

  • Reply Sylvia Häusler 12. Januar 2024 at 12:08

    Auch wenn ich schon vorher weiß, dass ich weinen werde, wenn ich deine Geschichte lese: Das ist eine Riesengroße Liebesgeschichte <3 und ich hab auch so eine Riesen Freude, wenn ich dich lese und deine Bilder mitanschauen darf. Das Paradoxe am Lieben ist ja – wie ich schon mit meinem Sohn lernen durfte – dass diese mit dem GEBEN wächst… was so im Widerspruch zu all den weitverbreiteten ökonomischen Überlegungen ("Was hab ich davon?!") steht. Jede durchwachte Nacht… jedes Tier-die-Treppe-runtertragen… schließt unser Herz ein weiteres Stückerl auf… Weil wir normalerweise nicht einmal ahnen, zu wieviel Liebe wir überhaupt in der Lage sind! Sie lassen uns sie lieben – und schenken uns dabei die enorme Spannbreite unserer sie-Liebensfähigkeit… Und nichts ist nachher mehr so, wie es davor gewesen ist. Danke Heidi, dass du den Mut hattest, so groß zu lieben – und dass du mich / uns daran teilhaben lässt, in Mitgefühl <3

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