Es regnet. Dabei regnet es hier eigentlich nie. Aber jetzt eben doch. Das Tier ist Regen gar nicht mehr gewohnt, aber es geht ja auch nur um das allerletzte Pipimachen vor dem Schlafengehen. Nichts Großes also, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir treten vor die Haustür und verharren in der überdachten Türnische. Manchmal kann ich die Gedanken des Tiers nicht im Mindesten lesen, aber es gibt Momente, in denen es so intensiv denkt, dass kleine Denkblasen über seinem plüschigen Köpfchen erscheinen. Die kann man dann einfach ablesen, wie im Comic. Es gelingt besonders gut, wenn es dunkel wird und der Tag sich zur Ruhe begibt. Die Umgebungsgeräusche verstummen und die Hundegedanken haben ausreichend Raum. “Es regnet”, denkt das Tier. Stimmt, sage ich, lass es uns schnell hinter uns bringen. Dann werden wir nicht so nass, können schnell wieder rein und schlafengehen.
Das Tier bleibt stehen und guckt. Ich stehe mit. Nach einer Weile gehe ich einen Schritt vor und ziehe ich die Leine sanft mit, um das Tier zum Weitergehen zu bewegen. “Aber es regnet!” denkt es. Ich weiß, sage ich, komm! Das Brötchen geht ein paar Schritte, dann bleibt es stehen. “Was machen wir hier, im Regen?” lese ich in der Denkblase. Du musst nochmal Pipi! Sage ich. “Muss ich?” Das Tier steht immer noch, während der Regen jetzt stärker wird. Klar musst du, es ist Schlafenszeit, komm! Das Tier überschreitet mit einigem Widerwillen mit mir die Straße. Auf der anderen Seite befindet sich reichlich Grün und ein Weg, wo auch andere Hunde manchmal langgehen. Hier kann sich das Tier eine geeignete Sanitäreinrichtung suchen. “Da ist ein Bordstein”, denkt es und bleibt stehen. Ein großer Schritt! Sage ich. Das haben meine Eltern vor über 50 Jahren immer zu mir gesagt, wenn wir im Kaufhaus auf der Rolltreppe standen und sie sich dem Ende neigte. Ein großer Schritt! Mit der Dynamik eines Seeigels nimmt mein Hund die Hürde. Dann bleibt er stehen, um zu schnüffeln.
Paninis Schnüffelgedanken sind leider so komplex, dass ich sie nicht lesen kann, unsere Kommunikation bricht also vorübergehend ab. Schnüffeln macht müde denke ich, ein Hund muss schnüffeln. Ob das unbedingt auch um 23 Uhr so sein muss, zumal wenn die Farben des Regenradars langsam von mittelblau in dunkelblau übergehen – da bin ich mir nicht so sicher. Nach einer gefühlten Ewigkeit wendet sich das Tier ab und trottet weiter. “Das war interessant!” Bestimmt, sage ich, aber könntest du dich jetzt mal nach einer Toilette umsehen? Das Tier bleibt stehen: “Es regnet doll!” Ja, sage ich, leg mal einen Zahn zu. Kaum habe ich es ausgesprochen, denke ich, dass das vielleicht nicht die richtige Ansage war. Nachdem Panini neulich einen menschlichen Zahn aus dem Gebüsch zutage förderte, könnte diese Aufforderung vielleicht missverstanden werden. Im ersten Moment dachte ich, Panini könnte aus irgendwelchen Gründen ein Zähnchen verloren haben, schließlich habe ich ihr das Ding ja aus der Schnauze gefischt. Aber nicht nur, dass Panini noch alle Zähne besaß, die sie bei unserem Aufbruch bei sich trug, das Teil sah auch so ganz anders aus wie ein Hundezahn. Desinfektionstücher gehören inzwischen zu den wichtigsten Utensilien in meiner Handtasche. Geh mal ein bisschen schneller! Korrigiere ich mich.
Wir gehen wieder ein paar Schritte. “Schau mal, ein Stück Holz!” Toll, sage ich. Können wir weiter gehen? “Immer diese Hektik.”. Das Tier schnüffelt, mitten auf dem Weg liegt ein herabgefallener Ast, den sicher schon einige Hunde als Wegmarke markiert haben. Ich schöpfe Hoffnung. Jetzt einfach drübermarkiert und unsere Mission ist erfüllt. Wieder ist unsere Verbindung eher schlecht. Das Tier schnüffelt und schnüffelt. Als ich vorsichtig an der Leine zupple, taucht es wieder auf. Es hebt den Kopf. “Jetzt hab ich mich doch beinahe total verschnüffelt! Und dabei regnet es ja! Komm, lass uns reingehen …” Das Tier dreht ab und will sich auf den Weg zurück machen. Nein! Sage ich. Du musst erst Pipi machen. “Was muss ich?” Pipi! Wasserlassen! Strullern! “Strullern? Was ist das denn?” Na Pipi! Ein Pärchen mit einem riesigen Regenschirm kommt auf der anderen Straßenseite an uns vorbei und schaut mich dabei seltsam an. Ganz offensichtlich haben sie keine Ahnung, wie es ist, mit einem Hund über die Notwendigkeit des Wasserlassens zu diskutieren. Zum Glück geht das Tier wieder ein paar Schritte und wir können uns entfernen. Vielleicht hätte ich damals doch einen Rüden nehmen sollen. Die machen nicht so ein Theater bevor sie pieseln.
Jetzt bleibt Panini wieder stehen. “Aber es regnet!” Eben, sage ich, deshalb wäre es schön, wenn du jetzt ein geeignetes Pinkelplätzchen fändest. Panini schüttelt sich und die Tropfen fliegen. Ich werde heute Nacht das Fenster schließen müssen, damit sie sich nicht erkältet. Auch bei mir selbst fallen die ersten Tropfen vom Schild der Kapuze. Das Tier macht jetzt Tempo und kommt sogar ins Traben. Gleich wird es passieren, denke ich. Doch mit steigendem Tempo entfernen wir uns auch immer weiter von zuhause. Schau mal hier! Sage ich. Da hast du doch schon öfter total gern hingepinkelt! Doch das Tier läuft achtlos an den mehrfach von zahlreichen Hunden prämierten Stellen vorbei. Nur noch wenige Meter, dann endet die grüne Meile und wir müssen wieder zurück, wenn wir nicht nochmal einen richtigen Spaziergang machen wollen. Ich will das keineswegs. Ich will, dass das Tier jetzt pinkelt und wir auf schnellstem Wege wieder ins Trockene gehen können. Außerdem will ich ins Bett und ich weiß, dass zwischen mir und dem Kopfkissen noch unzählige Handgriffe stehen, wie Hund trocken rubbeln, Hundeaugen säubern, Hundezähne putzen und natürlich auch die immer zahlreicheren Maßnahmen für die eigene verfallende Schönheit. Das Gefrorene für den nächsten Tag muss zum Auftauen rausgenommen werden, die Rollos geschlossen für den Fall, dass am nächsten Morgen die Sonne wieder in die Räume brennt. Der Hund braucht noch ein Medikament und das Betthupferl. Aber diese wichtige Ereigniskette vor dem Schlafengehen kann erst dann gestartet werden, wenn das Tier seine Blase entleert hat und ich 18 nasse Kilo in den dritten Stock getragen habe.
Das Brötchen stoppt jetzt und sieht mich an. “Warum gehen wir denn so lange im Regen spazieren? Können wir nicht rein?” Sicher, sage ich und hebe das Bein. Vielleicht hilft Zeichensprache und das Pärchen ist ja außer Sichtweite. “Du bist komisch manchmal”, denkt Panini und trottet vorwärts. “Guck mal, noch ein Stück Holz!” Ich will sie schon ungeduldig weiterziehen, als ich merke, dass sie vehement dagegenhält. “Jetzt warte doch mal! Ich will da drauf pinkeln!” Ich schicke ein Stoßgebet durch die dicken Regentropfen. Endlich. Das Tier pieselt. Dann dreht es ab und will auf schnellstem Weg nach Hause. “Hast du denn gar nicht bemerkt, dass es regnet?” Doch, sage ich, aber wir wären schon längst wieder drin, wenn du … “Gut, dass ich jetzt Tempo gemacht habe! Sonst würden wir vermutlich noch ewig ohne Sinn und Verstand im Regen herumstapfen.” Ich verstumme. Gegen die Logik meines Hundes komme ich niemals an. Zügig schaffen wir den Weg zurück. Während ich zuhause die nassen Sachen aufhänge, versucht sich das Tier am Sofa abzutrocknen. Danach lässt es sich mit einem Plumps in sein Körbchen fallen, wo es all die notwendigen Handgriffe huldvoll erträgt. Endlich darf ich selbst ins Bad und bin bereits so müde, dass ich aufpassen muss, meine eigene Zahnbürste nicht mit der des Hundes zu verwechseln. Nach einer Weile höre ich das charakteristische Schüttelgeräusch und in der Folge das Tapsen von Hundepfoten auf den Fliesen. Mein Hund steht vor mir und schaut mich an. “Was machst du da? Ich kann nicht schlafen, wenn du nicht bei mir bist.” Ich komme gleich, ich muss nur noch Zähneputzen. “Oh Mann. Das dauert. Immer brauchst du so lange.” Das Tier dreht sich um und geht zurück ins Schlafzimmer. Ich beeile mich! Rufe ich ihm hinterher. Als ich nach einer gehetzten Zahnreinigung ebenfalls das Schlafzimmer ansteure, schläft das Brötchen bereits. Schnüffeln macht müde.
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5 Kommentare
Eine zauberhafte Geschichte! Aber Rüden “denken” ähnlich und zumindest mein Rüde braucht auch ähnlich lange, bis die richtige Pipi-Stelle gefunden ist😂
Das ist wieder so schön geschrieben!
Genau so habe ich mir das mit den Denkblasen bei Jela auch manchmal schon vorgestellt. Manchmal starrt sie irgendwo hin und ich habe keine Ahnung, was in ihrem Kopf vor sich geht, zu anderen Zeiten kann man genau sehen was sie denkt. “Wie, du isst schon wieder etwas? Wo bleibt denn mein Anteil?”.
ich freue mich über deine Geschichten!
Einen schönen Sonntag, vielleicht ja Mal wieder ohne Regen.
Endlich erzählt mal jemand diese Geschichte, die sich so oder so ähnlich auf vornächtlichen Gassigängen allenthalben und täglich wiederholt. Endlich bekennt sich jemand öffentlich zu den intensiven gedanklichen, manchmal auch hörbaren Diskussionen, den Zielkonflikten im Zusammenleben von Mensch und Hund. Und ja – Grüsse gehen raus an den hundelosen Rest der Welt – wir reden und denken mit unseren Hunden. Danke, Heidi, dass du diese Geschichte erzählst. Das kann nämlich niemand so unterhaltsam und liebevoll wie du.
P.S. Zia hat grösstes Verständnis für Panini. War ja klar.
1. Ich stimme Katja zu. Auch Rüden können die Zeit vergessen, ob es regnet oder nicht.
2. Ich überdenke nun schon seit gestern die Dynamik eines Seeigels und stelle mir vor meinem geistigen Auge vor, wie er einen Bordstein erklimmt. Man könnte auch sagen, dass ich leere Denkblasen über meinen Kopf habe 😉
das ist voll aus dem Leben mit Hund. unserer ist jetzt 14Jahre alt und die Denkblasen sind immer deutlicher über seinem Kopf. Ich könnte es nur nicht so schön beschreiben. vielen Dank.