Seit April dieses Jahres kommt das Besuchstier zu mir. Sein Besuch läuft meist ähnlich ab: Es kommt die Treppe hoch, stellt die Ohren waagerecht, um seine Freude zu signalisieren, betritt freundlich nickend die Räume und wartet auf ein Stück Knurpsgut, das ihm alsbald gereicht wird. Damit zieht es sich dann auf das Hundebett zurück, das jetzt sein Hundebett ist, zerknatscht das Angebotene und steht dann wieder auf, um anzudeuten, dass es jetzt zwar keineswegs satt, aber doch bereit für weitere Abenteuer ist. Dabei wedelt es so, dass seine Rute beim Wedeln auf einen Gegenstand trifft, um durch ein „Bunk, bunk, bunk“-Geräusch seiner Unternehmungsbereitschaft mehr Nachdruck zu verleihen.
Über Nacht blieb das Besuchstier bis vor Kurzem noch nie. Lange fragte ich mich, wie es wohl sein würde, wenn mir der erste Hund nach Panini ins Schlafzimmer folgt, auf ein Betthupferl wartet, sich eine Kuhle in die Decke gräbt. Ich habe es jeden Tag genossen, das Licht zu löschen und zu wissen: Mein Tier ist bei mir. Und jetzt: Würde ich es überhaupt aushalten, einen Hund im Dunkeln seufzen zu hören und dabei an das Brötchen zu denken? Doch dann kam der Notfall mit dem Kleinchen und mit ihm die erste Übernachtungssituation. Nach dieser Feuertaufe war ich gerüstet und bereit für eine Pyjama-Party mit Amy.
Wir testeten das Übernachten auch aus gutem Grund: Amy sollte bei mir zwei Wochen Urlaub machen und ich war einigermaßen aufgeregt. Wir mussten doch noch so vieles ausprobieren! Alleinbleiben zum Beispiel – nie zuvor hatte ich das mir anvertraute Besuchstier allein gelassen. Das Kleinchen hatte damit so seine Probleme gehabt und ich war besorgt. Was, wenn das Besuchstier nicht allein bleiben wollte? Wer will schon in einem Hotelzimmer eingeschlossen sein! Und was, wenn Amy abends auf die Uhr blicken würde, um dann nachdrücklich kundzutun, dass es längst Zeit sei, wieder nach Hause zu gehen? Es würde mir das Herz brechen, ein Tier mit Heimweh zu beherbergen.
Ausgewiesene Hundekenner schütteln hier sicher den Kopf. Wie kann man sich so viele Gedanken machen, wo doch jeder, wenn nicht gar jede weiß, dass Hunde äußerst anpassungsfähig sind und immer geneigt, sich dort wohlzufühlen, wo die Rinderohrqualität stimmt und beim Kuscheln die richtigen Stellen am Bauch getroffen werden! Ja schon, aber … was, wenn nicht?
Wir probten alles gründlich – das Alleinbleiben und die Sache mit dem letzten Gassi des Tages, dem Betthupferl und dem Licht ausmachen. Und das Besuchstier zeigte mir tatsächlich, dass meine Sorgen unbegründet waren. Zwar war Amy nicht eben erbaut, allein zurückgelassen zu werden, aber sie nahm das scheinbar Notwendige hin ohne deswegen Geräusche zu entwickeln. Das konnte ich sicher sagen, da ich sie mit einer Kamera beobachtet hatte. Um mir ihr Einverständnis wegen des dafür unabdingbaren Bruchs ihrer Privatsphäre zu holen, hatte ich ihr zuvor die Nutzungsbedingungen von Facebook vorgelesen. Das schien mir vergleichbar und fair zu sein, schließlich hatte ich die ebenso wenig verstanden wie der Hund und trotzdem zugestimmt. Amy hörte aufmerksam zu, ihre Rute machte „Bonk, bonk, bonk“, was sicher als Einverständnis gewertet werden kann. Das Besuchstier konnte kommen.
Schon nach wenigen Tagen hatte mein Gehirn die tief vergrabenen Gewohnheiten aus neun Jahren Hundehaltung wieder nach vorne geholt. Das frische Wasser am Morgen. Das Futter, das rechtzeitig aus dem Kühlschrank geholt werden muss. Die Gassitütenrolle auf dem Tischchen im Flur. Die Gassizeiten und überhaupt alle Rituale, die man als Hundemensch pflegt. Endlich konnte ich wieder jemanden fragen, wo ich denn dieses oder jenes abgelegt haben könnte und dabei auf liebevolles Verständnis hoffen. Ich musste den angetrockneten Camembert-Rest nicht mehr wegwerfen, Pizza-Rand hatte wieder einen Sinn.
Manchmal machte Amy Panini-Sachen und brachte mich damit zum Weinen. In Vorfreude auf den gemeinsamen Spaziergang hinderte sie mich genauso am Schuheanziehen, wie es Panini immer getan hatte. Ihre glückseligen kleinen Sprünge, bevor es den letzten (selbstgebackenen) Keks des Tages gab, ähnelten denen von Panini. Und sie teilte mit vergleichbarer Begeisterung und Freude an Körpernähe die Couch mit mir.
Manchmal musste ich aber auch weinen, weil Amy sich anders verhielt als Panini. Weil mir damit nochmal bewusst wurde, wie schwer vieles für sie war. Das Brötchen vermied Rückwärtsgehen, weil es ihr unangenehm war. Als sie noch Treppen gehen konnte, wäre es ihr nicht eingefallen, auf den Stufen zu wenden, um nach Belieben hoch oder runter zu gehen, die motorische Herausforderung wäre zu groß gewesen. Die Eleganz, mit der Amy den Futterball mit einer Vorderpfote vor und zurückrollen kann, erinnert mich daran, dass die Gewichtsverlagerung auf die Hinterläufe für Panini mit Unbehagen oder Schmerzen verbunden war. Sie konnte solche Dinge einfach nicht, selbst als jüngerer Hund nicht.
Und obwohl Panini so viel von Tierärzten umgeben war, in ihrem Leben so viel Schmerz aushalten musste, war ihr Vertrauen in Menschen riesig. Wo Amy mit Zurückhaltung oder Angst reagiert, ging Panini freundlich drauf zu. Jeder Handwerker war ihr Freund, sie liebte alle. „Ich würde meine Hunde nie vergleichen“, sagen manche Menschen – aber wie könnte man nicht? So vergleiche ich auch das Besuchstier mit dem Brötchen, aber ganz ohne jede Wertung. Die Großartigkeit von Hunden zeigt sich in ihren individuellen Unterschieden ebenso wie ihren Gemeinsamkeiten. Bei Amy begeistert mich ihre Lebensfreude und ihr Optimismus besonders. Sie freut sich, wenn sie morgens aufwacht, wenn man sich anzieht, wenn es raus-, aber auch, wenn es wieder reingeht. Sie freut sich über das Essen und einfach nur so. Wenn man den Arm hebt. Oder das Tier ansieht. Oder etwas Bedeutungsloses sagt. Das Tier freut sich schon mal prophylaktisch, in der Gewissheit, dass etwas Gutes passieren wird. „Bonk, bonk, bonk.“. Wir können so viel von Hunden lernen.
Das Besuchstier und ich haben eine gute Zeit zusammen. Wenn ich nicht da bin, geht es in mein Bett. „Heimlich“, denkt es, weil es die Sache mit der Kamera und den Nutzungsbedingungen ja nicht verstanden hat. Erst hatte ich die Kamera in meiner Abwesenheit auf das Hundebett im Arbeitszimmer gerichtet. So konnte ich in der App ein leeres Zimmer überwachen, was recht langweilig war. Dann richtete ich die Kamera auf den Flur, ich dachte, das Tier würde wohl die Eingangstür im Blick haben wollen. Aber auch die Aufnahmen des öde unbelebten Flurs hatten für mich einen geringen Informationswert. Zuletzt installierte ich „Big Brother“ im Schlafzimmer und siehe da – ich konnte dem Tier beim Matratzentest zuschauen. Das war so liebreizend, dass ich diese Vorliebe billigte, schließlich soll sich so ein Besuchstier im Urlaub auch wohlfühlen.
Manchmal sage ich am Telefon solche Sachen wie „Mein Hund muss raus“, um mich gleich darauf zu korrigieren, dass es ja gar nicht mein Hund sei. Es erscheint mir normal und natürlich, mit einem Hund zusammen zu sein. Das Besuchstier schafft zwei wundersame Dinge, die nur scheinbar gegensätzlich sind: Es hilft mir, mit der Trauer über den Verlust von Panini zurechtzukommen, aber es zeigt mir auch, dass diese Trauer noch da ist. Und beides ist gleichermaßen gut.
4 Kommentare
🫶Wie schön, ich freue mich für euch🫶
Ihr beide seht glücklich aus 😘
Das ist auch für das Besuchstier ein guter Urlaub! Das passiert alles zur genau richtigen Zeit, die Trauer darf da sein und das Besuchstier auch, und ihr seht wirklich beide glücklich aus!
Wie schön!
Ich hab regelmäßig Besuchstiere hier und es meist nur Freude(selten Streß für die Beteiligten).
Freuen über das, was ist – eine grandiose Grundlage fürs Leben.
Ich wünsche Euch ganz viel davon. <3