Drinnen

Das Besuchstier

31. Mai 2024

Vor fünf Monaten hat mich mein geliebtes Brötchen verlassen. Eine Zeitspanne, die die wundersame Eigenschaft hat, zugleich überraschend lang, wie seltsam kurz zu sein. Die Leere, die Panini hinterlassen hat und die Sehnsucht nach ihr sind geblieben, unfüllbar, unstillbar. Und trotzdem hat sich eine bildhübsche altrosafarbene Nase in mein Leben geschnüffelt und schafft es damit, eine große Wunde mit wenigstens einem kleinen Pflaster zu bekleben. Denn ich habe einen Besuchshund. Und das kam so.

„Ich hab dir eine Nachricht bei Signal geschickt“, schrieb meine Freundin in den ersten Apriltagen in einem anderen Messanger. Multitasking heißt ja immer auch Multi-Toolnutzing und so guckte ich nach. Ich fand dort ein Foto von einem beigefarbenen Hund mit lustigen Ohren, der artig auf irgendetwas zu warten schien und dabei offenbar versuchte, möglichst neutral zu gucken. Er wirkte ein bisschen verunsichert, aber doch offen und freundlich. Das Foto klebte auf einem Aushang, meine Freundin hatte ihn in einem Bio-Supermarkt gefunden. „Amy sucht Betreuung“ stand dabei, ebenso wie eine kurze, positive Beschreibung des Hundes. Kinderlieb sei er, freundlich, verträglich – und überhaupt. Man suche eine Betreuungsoption für 1-2 mal pro Woche in der Nähe. „Das ist doch was für dich!“ schrieb meine Freundin dazu. Ich schaute auf das Foto. Der Hund sah nett aus. Der Text sah nett aus. Die Handschrift sah nett aus. Und ich war in der Nähe. Aber war ich jemand, die einen Hund zu Gast haben wollte? Würde ich überhaupt einen Hund aushalten können, der nicht Panini ist? Und wie würde es Panini finden?

Ich teilte meiner Freundin mit, ich wolle darüber nachdenken. Kaum fing ich damit an, hatte ich das Gefühl, ich sollte vielleicht besser nicht zu lange nachdenken. Wer weiß, wie lange es den Aushang schon gab. Vor meinem inneren Auge sah ich eine lange Schlange von Menschen vor einem Haus in der angegebenen Straße stehen, alle darauf wartend, den braunen Hund mit den lustigen Ohren betreuen zu dürfen. Bestimmt würde ich zu spät kommen. Aber das wäre ja dann vielleicht auch gut so. Es ist ja ohnehin zu früh, irgendetwas zu tun, bei dem „Hund“ draufsteht. Dabei lese ich Hundeartikel, höre Hundepodcasts und gucke Hundevideos. Also, so ganz scheint das mit der Abstinenz ohnehin nicht zu klappen. Sollte ich jetzt da anrufen oder nicht? Vielleicht wollte Amy ja auch gar nicht von mir betreut werden, in einer Wohnung in der es nach Panini roch? Aber dann beschloss ich, es nicht weiter zu verkomplizieren und rief an.

Der Rest war dann eigentlich ganz einfach. Amy kam mit ihrem Frauchen. Und beide gingen wieder. Ein paar Tage später kamen sie nochmal und nur das Frauchen ging. Es klappte. Amy verstand das Prinzip von Betreuung sofort, auch wenn sie erst ein bisschen knöterte. Seit zwei Monaten kommt sie nun immer wieder zu Besuch und freut sich inzwischen sogar, mich zu sehen. Sie entert die Wohnung freudig und selbstverständlich wie ein Kindergartenkind, das genau weiß, in welchem Raum die Fliegenpilzgruppe ist. „Die ist nett Panini, oder was sagst du?“ frage ich mein Brötchen. Das schaute mich aus seinen dunkelbraunen Augen bedeutungsvoll an. Vielleicht hat Panini ja meine Freundin zu dem Aushang geführt. Damit es nicht so auffällt, dass sie ihre Finger im Spiel hat. Wer weiß es.

Amy ist optimistisch, unternehmungslustig, gut gelaunt, sportlich, kraftvoll und enorm liebenswert. Sie ist ca. fünf Jahre alt und kommt ursprünglich aus Bulgarien. Nachdem ihr erstes Frauchen in Deutschland verstorben war, kam sie nach Frankfurt in ihre heutige Familie. Sie ist im Grunde in allem zauberhaft, ihr größte Schwäche ist das Ziehen an der Leine. Nachdem ich aus der Hundewelt im Viertel völlig draußen war, bin ich nun wieder drin, zumindest mit dem großen Zeh. In meinem Arbeitszimmer steht wieder ein Hundebett, das letzte von Panini an diesem Platz hatte ich erst nach drei Monaten waschen und wegräumen können. Als ich das andere Bett wieder hingestellt hatte, hatte ich das Gefühl: So gehört es. Ich hatte mich nie wirklich an einen Zustand ohne Hund gewöhnt und wenn Amy kommt, fühlt es sich richtig an. Nie könnte es mich stören, wenn sie mir in die Küche hinterherläuft oder bellt, wenn der Briefträger kommt. Und es ist schön, wieder all die sinnlosen Sätze zu sagen wie „Hat es dir gut geschmeckt?“ „Wollen wir rausgehen?“. Jetzt kommen eben weitere Sätze dazu wie „Bald kommt dein Frauchen!“. Und staubsaugen lohnt sich endlich wieder.

Das Besuchstier in Ruhe

Wenn Amy geht, habe ich zwiespältige Gefühle. Natürlich ist es lässig, alle Freiheiten zu haben, die man mit einem eigenen Hund nicht hat. Aber manchmal fehlen mir danach gleich zwei Hunde: Das Besuchstier, mit dem ich so einfach und schnell eine neue zarte Verbindung knüpfen konnte und das Herzenstier, mit dem ich verschweißt war und dessen Verlust so unverändert brennend schmerzt.

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13 Kommentare

  • Antworten Sonja 31. Mai 2024 um 20:24

    Wie schön! Und schmerzhaft zugleich! Nach dem Tod unseres besten-aller-Hunde geht es uns ähnlich: wir sollen/wollen uns regelmäßig um eine Hündin kümmern, die sonst in ihrem Zuhause nicht mehr ausreichend versorgt werden könnte. Schöne Momente, wieder das Tapsen von vier Pfoten zu hören – und zu dem chronischen Verlustschmerz immer wieder ganz frisch auflodernder Schmerz um den fehlenden Hund.
    Genießen Sie und wir trotzdem oder gerade deshalb die Zeit mit den Besuchshunden!
    Viel Freude wünsche ich Ihnen! Und es freut mich sehr, wieder von Ihnen zu lesen!

    • Antworten Heidi 1. Juni 2024 um 14:47

      Dankeschön! Und tröstlich zu hören, dass es anderen auch so geht.

  • Antworten Stephanie Richter 31. Mai 2024 um 21:59

    ❤️

  • Antworten Martina 31. Mai 2024 um 23:12

    Was für ein überaus reizendes Hundefrollein, diese Amy. Und eine schöne Geschichte. Vielleicht ist es so ja genau richtig, nicht zu viel Hund auf nüchternen Magen und immer noch schmerzlich gefülltem Herz. Das hat Panini „klug gemacht“ … 😊

    • Antworten Yvonne 1. Juni 2024 um 8:15

      Oh, das ist ja eine wunderbare Beschreibung, finde ich sehr zutreffend und wünsche allen, denen es ähnlich geht, von Herzen eine heilsame Zeit. <3
      Ich darf regelmäßig Hunde betreuen, gelegentlich auch 4 oder 5 mit meinen eigenen beiden und trotz dieses Fellnasenluxus empfinde ich nach Abholung ähnlich.

    • Antworten Heidi 1. Juni 2024 um 14:44

      Ja, genau so denke ich auch. Mit Amy kann ich mich vorsichtig daran herantasten, dass möglicherweise auch ein anderer Hund um mich herum sein könnte. ☺️

  • Antworten Monica 1. Juni 2024 um 1:11

    Hunde erreichen immer unsere Herzen, wenn man sie lässt. Man wird es nicht bereuen und bekommt dafür soviel Liebe zurück ohne das eine Gegenleistung erwartet wird. Eine so wunderbare Geschichte und ich bin mir sicher, Panini hat die Fäden gezogen. Der Anfang ist gemacht. Welche Wendung das Besuchstier nun auch auslösen mag – Panini würde nur allzu glücklich sein das ihr Frauchen nicht nur um sie e trauert sondern auch lächelt über soviel Hundeglück ❤️

    • Antworten Heidi 1. Juni 2024 um 14:46

      Ja, das hoffe ich. Auch wenn ich manchmal ein bisschen schlechtes Gewissen habe, wenn ich Amy knuddle, so komisch das klingen mag.

  • Antworten Anja 1. Juni 2024 um 7:04

    Oh wie schön, liebe Heidi.

  • Antworten Elli 1. Juni 2024 um 14:29

    Was für eine zauberhafte Maus. Panini lächelt und hat im Herzen ein wenig Platz gemacht für Amy.
    Das ist die perfekte Lösung für alle Beteiligten, liebe Heidi. Ganz viel Freude und Liebe wünschen
    Elli & Hope

    • Antworten Heidi 1. Juni 2024 um 14:45

      Danke, liebe Elli. Ja, es scheint ein sehr guter Zwischenschritt zu sein. Und Amy ist wirklich reizend.

  • Antworten Amys Frauchen 6. Juni 2024 um 13:18

    Liebe Heidi,
    ich bin’s, das Besuchstier. Es macht mich und mein Frauchen sehr glücklich zu lesen, dass ich Dir in all der Trauer um Dein geliebtes Brötchen wieder etwas Fellnasenfreude in Dein Leben bringe. Ich möchte Dir aber auch mal dafür danken, dass Du mich in Deinem Zuhause immer so willkommen heißt, Du mit mir so schöne Spaziergänge machst, mit mir kuschelst und ich in Paninis Bett lümmeln darf. Da habe ich schon mächtig Glück gehabt, denn als Hund hat man es bei Dir echt gut, 🙂
    Dein Besuchstier Amy

  • Antworten Anja 8. Juni 2024 um 9:29

    Liebe Heidi, ich freue mich so für Dich, dass Du ganz vorsichtig zurückfindest in die Hundewelt. Es ist ja die schlimmste Frage, wenn ein Seelenhund geht, wie soll es weitergehen?
    Kann man ohne Tier? Kann jemals wieder ein anderes Tier diese so einzigartige Lücke füllen? Ein Besuchshund ist eine hervorragende Idee. Als meine beiden Katzen innerhalb von zwei Jahren über die Regenbogenbrücke gingen, tauchte plötzlich ein “ Besuchskater“ in deren ehemaligem Revier auf und wir freundeten uns an. Da habe ich dann recht schnell gemerkt, dass die Wohnung ohne Katze einfach nicht gemütlich war und diesen Zustand nach etwa 9 Monaten auch wieder geändert.
    Und eine andere , ganz eigene Persönlichkeit zog bei mir ein, die durch alles, was sie tat, Vergleiche mit den früheren Bewohnern provozierte. Auch meine jetzigen Hunde vergleiche ich oft mit meinem ersten Hund vor dreißig Jahren
    Aber das ist völlig in Ordnung, weil dadurch die Erinnerung immer wach bleibt und das ist doch etwas sehr Schönes.
    Liebe Grüße
    Anja

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