Wenn ich die Augen schließe, sehe ich Hunde rennen. Ich kann spüren, wie sie an mir hochspringen, mich anrempeln und untertellergroße blaue Flecke und lange Kratzer an den Armen und Beinen hinterlassen. Das ist verzeihlich, sie sind eben ungestüm und suchen Aufmerksamkeit. Ich würde gern mehr über die Hunde erzählen, die mir in Italien begegnet sind. Ihre erstaunliche Resilienz und Klugheit, ihr Vertrauen und ihre Neugier. Aber zuvor muss ich etwas ausholen. Denn das, was in Italien passiert, ist mit keinem anderen Land zu vergleichen.
Was ist eigentlich „guter Auslandstierschutz“?
Wenn sich Menschen im Ausland für Hunde engagieren, ist gern von „nachhaltigem Tierschutz“ die Rede. Das bedeutet, dass sich durch die Unterstützung aus Deutschland die Situation mit der Zeit verbessern kann. Damit ist etwa gemeint:
- Tierschutzorganisationen vor Ort werden mit Geld- und Sachspenden, Netzwerkarbeit und Manpower unterstützt. Dazu gehört auch z. B. die handwerkliche Unterstützung beim Aufbau oder der Sanierung von Tierheimen.
- Tiere, die auf der Straße schlechte Chancen haben, z. B. Welpen, verletzte, alte oder kranke Tiere werden gemeinsam mit den örtlichen Tierschützern in Obhut genommen, gesundgepflegt und im Idealfall zur verantwortungsvollen Adoption vorbereitet.
- Tiere, die auf der Straße gut zurechtkommen, die autonom und vergleichsweise gefahrlos leben können, werden kastriert, geimpft und in ihren Rudeln belassen.
- Tiere, die durch Tötungsaktionen, Tierfänger o.ä. unmittelbar an Leib und Leben gefährdet sind, werden in Obhut genommen und im Idealfall zur verantwortungsvollen Adoption vorbereitet.
- Communities vor Ort werden aufgeklärt und durch Kastrationsaktionen von der Nachwuchsflut entlastet.
So gelingt es, das größte Elend zu lindern und zumindest regional für Verbesserung zu sorgen.
Nachhaltiger Tierschutz – in Italien kaum denkbar
In Italien sind die meisten dieser Maßnahmen jedoch nicht möglich, da die Gesetzeslage es nicht zulässt und die Behörden strikt dagegen sind. Straßenhunde darf es hier seit 1991 offiziell gar nicht geben, Hunde werden von den Gemeinden aufgegriffen und sind fortan „public dogs“, auf die niemand mehr Zugriff hat. Getötet werden dürfen sie (theoretisch) nicht, was erst einmal gut klingt. Doch in der Regel kommen sie dann in ein Hundelager, wo sie bis zum Ende ihres Lebens verbleiben. Die Betreiber der Lager werden pro Hund und Tag von den Kommunen mit ein paar Euro vergütet, bei hunderten bis tausenden von Hunden lohnt sich die Sache richtig. Ein Hundelager betreiben ist ein Geschäftsmodell, um das sich mafiöse Strukturen bilden. Je schlechter der Hund versorgt wird, desto mehr Geld bleibt bei den Betreibern hängen. Manchmal bleiben die Zahlungen der Kommunen allerdings auch mal aus, dann gibt es eben kaum Futter für die Hunde, medizinische Versorgung ist ohnehin nicht üblich. Keine italienische Familie würde dort hin fahren, um nach einem Hund zu suchen, es sind reine Verwahranstalten, oft weit draußen, abseits der Städte. Nur mit sehr viel Glück gelingt es, eine kleinere Anzahl Hunde aus solchen Lagern wieder herauszuholen. Deutsche Tierschutzvereine haben dort in der Regel keinen Zutritt. Behördliche Auflagen machen Adoptionen so schwer wie möglich.
Hunde in anderen Tierheimen – Vermittlung unter erschwerten Bedingungen
Neben diesen staatlichen Canilen, in denen Hunde in übelsten Bedingungen und ohne Menschenkontakt in kleinen Betonboxen dahinvegetieren, gibt es auch private Canile, kleinere Auffangstellen und Refugios, in denen Hunde leben dürfen. Meist sind es Frauen, die sich mit großem persönlichen Einsatz für die Tiere engagieren und ihr Möglichstes tun. Alle deutschen Tierschutzvereine, die in Italien tätig sind, arbeiten mit solchen Auffangstellen und Rifugios zusammen. Die stehen unter strenger Beobachtung der Behörden und oftmals kurz vor der Schließung. Hier mag es regionale Unterschiede geben, Süditalien ist besonders problematisch. Aber nachhaltiger Tierschutz, so wie oben beschrieben, ist in jedem Fall sehr schwer und nicht erwünscht. Allein das Ausstellen der Heimtierausweise, die für die Ausreise der Hunde von Nöten sind, kann zum reglementierten Kampf werden. Den Deutschen wird nachgesagt, die Hunde für Tierversuche aus dem Land zur bringen, Hetzkampagnen in Boulevard-Medien (Link führt zu einer Seite in italienischer Sprache) mit Nazi-Vergleichen schüren Misstrauen. Wie man mit kranken, scheuen, alten oder großen Hunden unterschiedlichster Rassemixe standardisierte Tierversuche machen sollte, bleibt das Geheimnis der Italiener. Paninis Pflegestelle bat mich über die Jahre mehrfach um Fotos und Updates, die sie den Behörden als Beweis vorlegen konnte. Einmal reiste tatsächlich eine Delegation aus Italien nach Deutschland, um dort Hunde zu inspizieren. Zum Glück mussten Panini und ich dort dann doch nicht auftauchen, die Herrschaften begnügten sich aus Zeitgründen mit Stichproben. Es ist wenig überraschend, dass im Vergleich dazu in den Lagern kaum Kontrollen stattfinden.
Italien – das Musterland in Sachen Tierliebe?
Ich könnte noch vieles darüber schreiben und das, obwohl ich anders als die erfahrenen Tierschützer in Italien ja nur einen vergleichsweise kleinen Einblick habe. Kurioserweise ist vieles in Deutschland nicht bekannt, im Gegenteil – vor einigen Monaten ging die Meldung durch die sozialen Medien, dass es in manchen italienischen Supermärkten jetzt spezielle Einkaufswägen gibt, in denen Hunde beim Einkauf dabei sein dürfen. Italiener wurden deshalb als besonders „hundelieb“ und “fortschrittlich” gefeiert. Allerdings wird dort sehr genau zwischen „Kuschelhund“ und „Gebrauchshund“ unterschieden und das, was in den Einkaufswägen sitzt, sind kleine Malteser mit rosa Glitzerhalsband. Für die anderen Hunde gilt:
- Nur ein ausgehungerter Hund macht seine Arbeit an der Herde oder auf der Jagd gut
- Nur ein unkastrierter Hund ist für die Arbeit zu gebrauchen
- Ein Hund, der für die Arbeit nicht gut genug ist, wird ausgesetzt, getötet oder einfach nicht mehr gefüttert und zurückgelassen
- Hunde bekommen auf rustikale Art mit Rasierklingen Ohrenspitzen abgeschnitten, angeblich aus „gesundheitlichen Gründen“
- Misshandlungen durch Unterversorgung und unterlassene Hilfe bei Krankheiten, Parasiten und Verletzungen sind Normalität
- Hündinnen sind mehr wert als Rüden, da sie neue Arbeitshunde produzieren können, dafür müssen sie unter widrigsten Umständen beliebig oft gebären
- Schutz vor Witterung ist unnötiger Luxus
Manches mag für viele Länder gelten, in denen eine eher arme Bevölkerung mit Hilfe von Hunden ihren Lebensunterhalt verdient. Doch oft betrifft es auch sehr wohlhabende Menschen, die sich durchaus eine medizinische Behandlung ihrer Hunde leisten könnten. Wenn angebotene Hilfe dann noch mit Bedrohungen beantwortet wird, stellt sich Ratlosigkeit ein. Angeblich teilen wir in der EU ja gemeinsame Werte. Wirklich?
Der „sichere Hafen“ – ein Sonderfall
Das Tierheim, in dem ich zwei Wochen lang geholfen habe, der sogenannte “sichere Hafen”, ist eine Besonderheit. Als Panini dort wohnte, war es noch das “Dog Village”, eines der privaten italienischen Canile, das von einer Tierärztin betrieben wurde. Die Bedingungen waren schlecht, die Hunde standen bei jedem Regen im Schmodder und in tiefen großen Pfützen.
Der deutsche Verein Pro-Canalba, eine schlagkräftige Truppe mit großem Netzwerk und Ressourcen, kaufte das marode Gelände 2023 mit Hilfe von Spenden und saniert es Stück für Stück als Rifugio. Das Konzept ist für Italien ungewöhnlich – alle Hunde haben in verschiedenen Ausläufen eine Stunde am Tag die Gelegenheit, frei auf Rasenflächen miteinander herumzurennen. Nichts ist dort ideal, aber alles ist besser als das dort sonst Übliche. Und jeder Hund hat hier eine Chance auf ein neues Leben. Deshalb war die Arbeit emotional, aber auch erfüllend. Davon berichte ich demnächst in einem eigenen Beitrag. Zuvor gibt es vielleicht noch eine wichtige Frage zu beantworten.
Warum überhaupt Tierschutz im Ausland?
Ein Hund, der versorgt werden muss, ist ein Hund der versorgt werden muss. Wo er lebt, spielt für mich keine Rolle. Die Tierheime in Deutschland sind am Limit, aber meine Möglichkeiten, hier zu helfen, sind begrenzt. Mein örtliches Tierheim ist voller Listenhunde, Bulldoggen, Jagdterrier, Cane Corsos und unverträglicher Schäferhunde, die wegen Überforderung abgegeben wurden, jeder von ihnen bringt eine Menge Baustellen mit. Gassigeher ohne Sachkundenachweis sind nicht erwünscht, aber es gibt für die Prüfung einen praktischen Teil, den man mit Hund erbringen muss. Das ist also alles gar nicht so einfach. Die Tierheime quellen über mit Hunden, die unüberlegt aus zweifelhaften Quellen angeschafft, nicht in ihre Umgebung passen und/oder nicht erzogen wurden. Immer häufiger werden kranke Hunde auch aus finanzieller Überforderung abgegeben oder ausgesetzt. An alledem ist nicht der seriöse Auslandstierschutz schuld, sondern Menschen, die nicht mal zwei Minuten nachdenken, bevor sie sich einen Hund anschaffen und eine Politik, die weder illegalem Welpenhandel noch Qualzucht einen Riegel vorschiebt. In Italien gab es einige Hunde, die ich sehr sehr ungern zurückgelassen habe. Aber ich wusste, dass ich ihnen das nicht bieten kann, was sie brauchen. Würden mehr Menschen so denken, wäre die Situation in deutschen Tierheimen eine andere. Bedürftige Hunde in Italien oder anderswo auf der Welt können dafür aber nichts.
2 Kommentare
Gruselig – man kann schon sehr an der Menschheit verzweifeln…
Wie gut, dass es noch ein paar Ausnahmeexemplare gibt, die empathisch sind und nicht nur ihre eigene Spezies als schützenswerte Wesen erkennen…
Danke für die Aufklärung. Die Situation in Italien war mir nicht klar. 😭