Draußen

Ich bin schuld.

16. April 2015

Es mag verschiedene Auffassungen darüber geben, wie Hunde zu sein haben. Schließlich gibt es ja auch ganz verschiedene. Charaktere. Rassen. Rudelpositionen. All so was. Der Mensch dagegen ist immer nur Mensch, also etwas vergleichsweise Profanes. Und deshalb gibt es keinen Zweifel darüber, wie Hundehalter zu sein haben. Nicht in Hundebüchern. Hundehalter müssen souverän sein. Bestimmt. Konsequent. Selbstbewusst. Freundlich, aber autoritär. Sicher im Auftreten. Eine geborene Führungspersönlichkeit. Und immer ruhig. Sie sind ruhig und extrem lässig, wenn der eigene Hund das ehemalige Abendessen eines anderen Hundes zu sich nimmt. Sie sind geradezu einschläfernd ruhig, wenn der Hund auf einen Kinderwagen zustürzt oder im Café die Bedienung anfällt. Und meditative Ruhe überfällt sie, wenn das Tier aus Protest das Ledersofa einsuppt. Wäre es anders, würde sich der Hundehalter sofort disqualifizieren und augenblicklich jegliche bislang erfolgte Erziehung zunichte machen.

Als Hundenovizin habe ich mir natürlich ein paar Hundebücher zugelegt und alle schreiben das obige. Ginge es nach Hundebüchern, hätte NIEMAND einen Hund. Ich habe aus naheliegenden Gründen nie Kinder-Erziehungsratgeber gelesen, aber ich könnte mir vorstellen, dass hier wenigstens hin und wieder so etwas wie Liebe und Nachsicht propagiert werden. Liebe ist in der Hundeerziehung ein Armutszeugnis. Wer seinen Hund liebt, lässt ihm alles durchgehen, ist inkonsequent und bäckt dem Tier Sahnetorten, das liegt auf der Hand. Viel wichtiger ist Konsequenz. Das Tier macht NIE etwas falsch, nur der Hundehalter.

Mein liebstes Beispiel dafür ist das Ziehen an der Leine. Hundebücher beschreiben nicht ohne Häme, das Tier ziehe nur dann an der Leine, wenn es gelernt habe, dass Ziehen etwas bringt. Der Hundehalter hat versagt. Niemals dürfe man einem ziehenden Hund nachgeben. Man solle augenblicklich stehen bleiben. Oder die Richtung wechseln.

Liebe Hundeerziehungsbuchautoren. Es kommt nicht oft, aber dennoch gelegentlich vor, dass der Hund in die gleiche Richtung möchte wie ich. Das Tier geht beispielsweise gern zum Tierarzt. Wenn wir dort hingehen, will es mich in den Eingang ziehen. Es will mich auch in das Wartezimmer ziehen, wo schon spannende und meist weit weniger gut gelaunte Kumpels sitzen. Ich soll nun also im Eingangsbereich des Tierarztes auf dem Absatz kehrt machen und woanders hin gehen. Ich soll auch nicht ins Wartezimmer gehen, sonst hätte ich ja dem Tier nachgegeben. Ich soll mich stattdessen an knurrenden Tieren in der Rezeption nochmals vorbei drängeln, die Tierarzt-Räume verlassen und dann wieder hineingehen. Und wenn das Tier dann wieder zieht (darf zu 99% als gesichert betrachtet werden) , soll ich dann abermals umdrehen. Das Tier zieht sehr gern beim Überqueren großer Straßen an Ampeln. Hier soll ich nun also stehenbleiben. Das könnte für uns beide letal enden, aber ich wäre ruhig und souverän geblieben. Ich könnte auch mitten auf der Straße die Richtung abrupt wechseln. Also wieder zurückgehen. Bei den Autofahrern gäbe das sicher ein großes Hallo. Ob das Tier unter diesen Umständen jemals dazu kommt, auf der gegenüberliegenden Wiese seine Blase zu leeren, ist fraglich. Mein Hund zieht mich auch in unser Frühstückscafé, auch da kämen wir mit Stehenbleiben und Umdrehen so bald nicht an. Ich kenne keinen Hundebesitzer, der niemals dort hingeht, wo das Tier gerade mit großer Begeisterung auch hin will. Man kann nicht immer stehen bleiben oder umdrehen. Ich wohne nicht mitten auf einer Weide. Hier sind schmale Bürgersteige, eng parkende Autos, unübersichtliche Kreuzungen. Manchmal muss man zügig von A nach B. Erziehungsspässeken gehen nicht immer. So lernt mein Tier, dass sich das Ziehen an der Leine lohnt. Ich habe versagt. Ich kann nur hoffen, dass ich es wieder ausgleichen kann. Schließlich bin ich in jeder Situation sicher, selbstbewusst, konsequent, souverän und die Ruhe selbst.

Titelbild © grafikplusfoto – Fotolia.com

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