Draußen

Silvester mit Hund – immer wieder ein Kracher.

1. Januar 2019
Silvester mit Hund

Nun haben wir sie also wieder überlebt, die weltkriegsselige Nacht. Die gute alte Tradition, die plötzlich überhaupt nicht mehr christlich-abendländisch sein muss. Wenn es ordentlich kracht, darf es ruhig auch ein urheidnischer Brauch sein. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob wir mit Feuerwerkskörpern wirklich böse Geister vertreiben oder nicht doch eher welche rufen.

Um Missverständnissen vorzubeugen – ich will gar nicht gegen das Feuerwerk an sich wettern. Als Kind wurde ich pünktlich zum Jahreswechsel geweckt, damit ich mir die bunten Lichterspiele ansehen kann. Ich fand es großartig und das tue ich noch. Aber es ist längst Zeit, dass es neue Regeln dafür gibt. Wenn aus dem schönen Brauch ein Exzess geworden ist, muss sich etwas verändern.

Und es muss die Frage erlaubt sein, ob es sinnvoll ist, explosive Stoffe massenweise in die Hände von Menschen zu legen, die glasigen Blicks und mit schweren Gleichgewichtsstörungen das Feuerzeug zücken. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner beeilte sich zum Jahresende von „einzelnen Deppen“ zu sprechen, von denen man sich nicht den Spaß verderben lassen dürfe. Der gestrige Abend und ein Blick auf die Überreste auf den Straßen heute Morgen zeigt, dass das Deppentum flächendeckend ist.

Ab jetzt krachen wir extra.

Die Argumente wurden in den letzten zwei Wochen ausgetauscht und ich will sie hier nicht alle im Detail wiederholen. Feinstaub, Umweltverschmutzung, Müllaufkommen, Leid der Wild- und Haustiere. Alles bekannt. Alles egal. Denn schließlich gibt es genügend Menschen wie den „Journalisten“ Hugo Müller-Vogg, der sich in seinem Niveau mehr und mehr dem BILD-Maskottchen Franz-Josef Wagner annähert. In einem Tweet zeigte er dieser Tage, dass die Trumpisierung der Gesellschaft auch hierzulande fortschreitet. Er habe gute Lust, es jetzt extra Krachen zu lassen, angesichts der „volkserzieherischen, bevormundenden Äußerungen zum Thema“.

Das erinnert an den amerikanischen Trend der „Coal Rollers“ bei dem Klimawandelleugner ihre Pick ups so umbauen, dass sie extra mehr Schadstoffe ausstoßen, als Protest gegen Umweltschutzmaßnahmen. Eine erstaunlich stolze Demonstration der eigenen Dummheit.

Es lebe das Recht auf Egoismus.

Dahinter steckt die Angst, ausgerechnet in Deutschland, einem der freiheitlichsten Land der Erde, könnten einem Rechte genommen werden. Doch genau, weil wir in einem freiheitlichen Land leben, in dem Menschen wie Hugo Müller-Vogg unbehelligt jeden Mist in die Luft blasen können, kann es die eingeforderten Rechte gar nicht geben. Es gibt hier kein Recht auf Umweltverschmutzung, keines auf asoziales Verhalten, keines auf Belästigung und Gefährdung seiner Mitmenschen. Und nicht mal ein Recht darauf, dass alles genau so bleibt, wie es immer war.

Politik ist dazu da, Schaden vom Volk abzuwenden. Da das Volk ohne Umwelt und Natur sehr alt aussieht, ist Politik auch dazu da, Schaden von Umwelt und Natur abzuwenden. Sämtliche Maßnahmen der Politik, die dazu geeignet sind, kann man – bei dem entsprechenden beschränkten Horizont – als Bevormundung auffassen. Das Rauchverbot gehört ebenso dazu wie Geschwindigkeitsbegrenzungen. Der TÜV für das Auto ist eine Bevormundung, weil es Autobesitzer in die Werkstatt zwingt. Das gesamte Strafrecht ist eine einzige gigantische Bevormundung, man könnte es ja ebenso gut für eine gute alte Tradition halten, die Kinder zu verdreschen und der Gattin den Ausgang zu verbieten. Eine ärgerliche Einschränkung der Freiheit, wenn dergleichen verboten sein soll! Und dann die Anschnallpflicht! Volkserzieherische Unverschämtheit! Und dass man die eigene Garagenauffahrt nicht mehr mit Glyphosat behandeln darf, nicht mehr mit Asbest dämmt und keine FCKW-Haarsprays benutzen kann – ein bodenloser Eingriff in private Gewohnheiten. Wenn es nach Menschen wie Hugo Müller-Vogg geht, muss alles so bleiben, wie es immer war. Und jeden Tag gibt es einen Schweinsbraten für € 3,99/kg, gell?

Der Jahreswechsel beginnt um 12 Uhr mittags.

Gestern Nachmittag ging ich mit Panini eine größere Runde über das Feld, damit sie am Abend auch schön müde sein würde. Es krachte ein- bis zweimal pro Minute. Um 14 Uhr. Zum Glück jeweils in der Ferne, so dass Panini noch nicht sehr beeindruckt war. Um 18:30 Uhr wollte ich sie noch einmal in den Garten lassen zum Pipimachen, eine Gassirunde wollte ich vermeiden. Nun krachte es alle 10 Sekunden und das in der Nähe. Panini war nicht dazu zu bewegen, das Haus zu verlassen. Ich holte die Leine, um sie auf den Grünstreifen zu führen, auf dem sie sich meist schnell erleichtert, weil es immer etwas zu markieren gibt. Ich dachte, so könnten wir das Notwendige schnell hinter uns bringen.

Doch Panini war wie im Tunnel. Der Hund, der sonst immer die Nase am Boden hat, traute sich nicht, seine Habacht-Haltung zu verlassen. Mit angelegten Ohren und ohne einen Stop zog sie vorwärts. Wir mussten 25 Minuten gehen, bis sie kurz vor unserem Haus endlich pinkelte. Es krachte und krachte. Nach jedem Knall zählte ich am Ende des Spaziergangs die Sekunden, es waren nie mehr als sieben. Und das noch vor 19 Uhr. Zuhause angekommen, bekam Panini ihr Abendessen und ihre Bachblütentropfen. Die halfen immer, so auch dieses Mal. In der abgeschotteten und abgedunkelten Wohnung ließ sich der Jahreswechsel verbringen. Ich weiß, dass ich damit noch Glück habe. Andere Hunde lassen sich nicht so leicht beruhigen.

Silvester Vermuellung

Die Bilanz des Abends zeigt wieder unzählige Brände und Verletzungen. In Berlin gab es 49 aggressive Übergriffe auf Einsatzkräfte, 33 davon mit Pyrotechnik. Die Straßen und Wege in Frankfurt sind übersät mit Abfall. Man hat wieder alles unter sich fallen lassen. Die Verpackungen der Feuerwerke, Plastikbecher, Essensreste und Flaschen. Die Bürgersteige und Plätze sind mit Scherben gepflastert. Vermutlich wird Vermüllung durch Feuerwerke und Feiern im Freien demnächst als gute alte Tradition deklariert, die keinesfalls durch Bevormundung eingedämmt werden darf. In Deutschland hat man schließlich ein Recht darauf, sich an Silvester zu benehmen wie eine zugelitterte asoziale Arschkrampe. Weil man schließlich auch eine ist.

Ich weiß nicht, wie eine konkrete Lösung in Bezug auf Silvesterfeuerwerke aussehen kann. Aber dass dieser Exzess dringend eingedämmt werden sollte, das weiß ich.

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12 Comments

  • Reply Claudia Harfst 1. Januar 2019 at 19:41

    Das spricht mir sooo aus der Seele!!! Unsere Flora ist jetzt 9, und anfangs (wir haben sie mit 2 adoptiert, sie ist eine gerettete Portugiesische Padenca aus Spanien) war sie cool, wenn’s knallte. Aber von Silvester zu Silvester ist ihre Panik gewachsen. Dies Jahr hatte ich sogar von meiner Nichte (Tierärztin) Alpramazol besorgt, Angstlöser-Psychopharmaka (aus der Humanmedizin) samt Einnahme-Plan. Ich wollte die Dosis in 2 Tagen nicht auf Maximum steigern, zumal die Nebenwirkungen voll einschlugen: Verfressenheit + Keine Blasenkontrolle mehr, überall verlor sie Pipi. Alles für die Katz: Silvester ab 18 Uhr war sie nicht mehr in den Garten zu bewegen. Wir haben sie drinnen also mit Spielfilm + Doku + Chill-Jazz + Extra-Snacks abgelenkt. Auf dem Höhepunkt der Ballerei hat sie dann einen Riesen-Haufen auf den Teppich gesetzt und war vor Angst völlig außer sich. Hier in Essen war es auch wie im Krieg!!! Bis 2:30 hörte es draußen nicht auf. Ich habe also mit ihr auf dem Sofa gelegen, Jazz + Licht an, nach 2,5 Stunden ist sie schließlich eingeschlafen und ich habe mich rausgeschlichen ins Bett. Das kennt sie und kam irgendwann nach, nicht ohne unten im Flur nochmals einen fetten Haufen auf die Matte zu setzen, den ich dann morgens entdeckt habe. Sie schämt sich dann immer sehr. – Also von mir aus gehört die Böllerei radikal verboten!!!

  • Reply Ramona Slomka 1. Januar 2019 at 19:54

    Du sprichst mir und meinem Mann voll aus dem Herzen. Wir geben unseren Rauhhaardackel Kalle 7,5 Jahre bis zum 31 12. genau 7 Tage lang homöopathische Mittel von unserer THP und ebenso unseren Katzen. Dadurch ist er Recht ruhig und die Kater auch. Also dann Mal pinkeln gehen gegen 22.30 Uhr geht nicht. Danach liegt er auf der Couch neben uns und Punkt 0.00 Uhr wird der Fernseher laut gemacht mit Musik. Da ist er relativ relaxt. Um 1.30 Uhr sind wir dann ins Bett, aber es knallte noch immer. So kann er zu uns ins Bett und lag zwischen uns. So ging es.
    Ich persönlich hasse Feuerwerk, es ist einfach viel zu laut und schmutzig usw. Ich bin froh, das endlich wieder alles vorbei ist, bis wieder zum Jahresende.

  • Reply Katja 2. Januar 2019 at 0:55

    So Recht hast du! Wir haben auch zwei Aussies. Die jüngere ist zum Glück gelassen aber die große weiß nie wohin sobald es knallt… sie rennt vom Keller hoch, dann wieder in einen anderen Raum… hin und her… und das geht so lange bis das Knallen vorbei ist. Man leidet richtig mit. Man sollte es definitiv massiv eindämmen, sodass nur noch gewisse Menschen… wie etwa denen von der Gemeinde … etc. das Knallen in die Hand nehmen… dann ein großes Feuerwerk pro Gemeinde… und dann wars das. So viel Dreck und Vollidioten, die schon drei Tagr vor Silvester das Jahr beenden wollen… ich könnte hier einen halben Roman schreiben, aber es wird sich ja wahrscheinlich nichts ändern, leider,

  • Reply Susanne Breckel 2. Januar 2019 at 9:08

    Silvester war früher etwas Besonderes. Wir waren voll Vorfreude auf den Jahreswechsel der um 24 Uhr stattfand. Jetzt fängt das schon 2 Tage vorher und für die die es verpennen geht’s am 1. weiter. Das ist nichts Besonderes mehr, es ist lästig. Die Entschuldigung “es ist für die Kinder” ist mehr als peinlich. Wir haben auch Silvester gefeiert oder es zur Not verschlafen… Hat es uns geschadet? Nein. Ich bin glatt 53 geworden mit mindestens 20 verpassten Jahreswechsel. Für mich gehört ein “Schußverbot” vor 24 Uhr und nach 1 Uhr für Feuerwerkskörper her. 1 Stunde Lärm und Gestank muss doch reichen.

  • Reply Irene Pospisil 2. Januar 2019 at 15:02

    Wir sind viele Jahre , einige Tage vor Silvester aus Berlin geflohen. Denn mit der Knallerei ging es
    Weihnachten los. Wenn wir am 2. Januar zurück kamen, ließen wir die Hunde auf Felder (auch das gibt es
    in Berlin) sich noch mal bewegen. Auch in der Hoffnung, dass sie sich „entleeren“. Meist blieb es bei der
    Hoffnung denn um uns herum wurde noch geknallt. Da auf Felder ja keine Häuser stehen, waren
    die Geräusche etwas weiter entfernt und ab und zu sah man auch das aufblitzen.
    Jedes Mal dachte ich, dass sind die gleichen Töne und auch das aufblitzen , wenn Reporter im Fernsehen
    von einer Kriegsfront berichten. Ich denke, der Geruch wird dem an der Front auch geähnelt haben.
    . Wie krank müssen Menschen sein, die das als Ausdruck von
    Lebensfreude empfinden.
    Dir und Brötchen wünsche ich ein wundervolles Jahr
    und mir, dass Du noch viele tolle Bücher schreibst.
    Irene

  • Reply Elli Radinger 2. Januar 2019 at 15:58

    Wie wahr, wie wahr! Nachdem ich 13 Silvester mit einem panischen Hund im Arm verbracht habe, ist Shira nun mit 14 Jahren zum ersten Mal völlig entspannt gewesen: Sie ist jetzt vollständig taub und hat die Knallerei verschlafen. So kann das Alter auch seine Vorteile haben.
    Bleibt uns nur zu hoffen, dass die Autofirma Ford ihre High Tech Hundehütte mit Noise Cancelling endlich in Serie bringt:
    https://youtu.be/uyfbpQhH-oM
    Euch, liebe Heid und Panini wünsche ich jetzt 364 entspannte glückliche Tage.

  • Reply Mari 3. Januar 2019 at 0:36

    Sehr schön geschrieben, das ist genau das, was ich auch denke. Ich wünschte das käme bei mehr Menschen an.

  • Reply Annette 4. Januar 2019 at 18:54

    Es ist wirklich immer wieder frustierend. Unsere Jackie-Dame hat das Pipi-Machen schon am frühen Abend völlig verweigert und war um zwölf fast hyperventilierend mit mir in einer dunklen Ecke gesessen. Die ersten Silvester war sie völlig entspannt, bis beim Pipi-Machen im Garten gegen 1:30 ein Idiot in der Nähe so einen richtig großen Böller gezündet hat, dann gleich nochmal – weil es wohl so toll war -. Und sogar wir haben die Erschütterung draußen im Boden gespürt. Mehr muss man dazu nicht sagen. Seitdem suchen wir uns seit 6 Jahren an Silvester möglichst ruhige Orte – das hat aber noch nie wirklich geklappt. Vielleicht eine einsame Insel im nächsten Jahr.

  • Reply Irene 4. Januar 2019 at 21:51

    Versuch es doch mal in Orten, wo es viele Reetdachhäuser gibt. Denn da ist es wegen der
    Brandgefahr verboten, zu knallen.
    Irene

  • Reply Farina 9. Januar 2019 at 17:53

    Um letztes Silvester etwas entspannter zu gestalten, haben wir es mit dem Amazon Fire TV-Stick probiert.

    Ja richtig.

    Hört sich jetzt komisch an, hat aber super funktioniert.

    Gibt man in der Suchfunktion “Feuerwerk” ein, spielt der Stick auf dem TV krachend, zischend und heulend ein Feuerwerk ab. Mit der entsprechenden Lautstärke am Fernseher, war es teilweise ziemlich laut im Wohnzimmer.

    So haben wir bereits Wochen vorher dieses (scheiß) Spektakel im Wohnzimmer trainiert und bei Beruhigung wurde er gelobt.

    In der Silvesternacht hatten wir dann einen mega entspannten Hund. Kein vergleich zum Vorjahr.

    Vielleicht hilft das dem ein oder anderen ja.

    LG Farina

  • Reply Steffi 23. Januar 2019 at 14:13

    Ein guter Beitrag! Wir haben ähnliche Erfahrungen mit dem Feuerwerk gemacht. Boerne traute sich schon einen Tag vorher kaum aus dem Haus. Spätestens da war auch klar, dass ich ihn nur mit viel Mühe, gutem Zureden und viel viel Zeit und Geduld überhaupt in den Garten locken konnte. Von einem normalen Spaziergang war hier schon nicht mehr die Rede.
    Ich habe kein Problem mit dem Feuerwerk. Ich kaufe es nicht, aber wenn andere Spaß daran haben, stört es mich nicht. Was mich aber stört, ist der Umgang mit dem Feuerwerk. Inzwischen ist es leider normal geworden, schon Tage vor Silvester und noch Tage danach, egal zu welcher Uhrzeit fröhlich die Raketen steigen zu lassen. Für Tierhalter ist es so kaum möglich, den Tieren die Angst zu nehmen. Sie gewöhnen sich in der Zeit schon fast an den Angstzustand.
    Jetzt haben wir erstmal wieder Ruhe. 😉
    Liebe Grüße
    Steffi

  • Reply Kerstin 27. Februar 2021 at 19:32

    Danke. Einfach nur danke für die Zusammenfassung von allem Frust, Unwohlsein (nicht dur das des Hundes) und Unverständnis für die zunehmnde Zerstörungswut die sich als Traditionsbewusstsein tarnt.

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