Nein, ich bin nicht umgezogen. Seit fast 15 Jahren wohne ich hier. Aber ich hatte ja keine Ahnung.
Wer in einer Festanstellung arbeitet, zumal in einer arbeitszeitintensiven, der wohnt nicht. Er nächtigt eher. Er kommt und geht zu ähnlichen Zeiten. Im Winter tut er beides im Dunkeln. Früher saß ich oft am Wochenende auf dem Sofa und versuchte besonders intensiv zu wohnen, um meine Miete vor mir selbst zu rechtfertigen. Seit ich selbstständig bin, arbeite ich immer häufiger von zuhause aus. Man nennt das so, „von zuhause aus“ arbeiten, als wäre der Schreibtisch im Home-Office eine Schaltzentrale nach draußen. Lange Zeit habe ich dabei den gleichen Rhythmus beibehalten wie früher. Ich saß genau zu den gleichen Zeiten an meinem Schreibtisch wie zuvor im Büro. Wenn ich Termine hatte, verließ ich die Wohnung und fuhr irgendwo hin, raus aus meinem Viertel. Seit Panini bei mir ist, ist alles anders. Ich bin werktags zu Fuß in meiner Straße unterwegs – mitten am Tag. Ich streife um 22 Uhr in Parallelstraßen umher. Ich sitze auf Bänken in der Nähe meines Hauses, auf denen ich in 10 Jahren nie saß.
Manchmal sind wir früh unterwegs und ich sehe Horden von Kindern, die in die Kitas gebracht werden. Auf unseren Gassirunden gibt es mindestens fünf Tagesstätten. Die Kinder kommen mit winzigen Rädern und bunten Helmen und ihre kleinen Geschwister in den Kinderwägen und Fahrradsitzen rufen „Wauwau“ von Weitem. Niemals habe ich so viele Kinder in meiner Straße gesehen, es sei denn beim Straßenfest. Sind wir am späten Nachmittag unterwegs, sehe ich, wie all diese Kinder wieder abgeholt werden und ihren jeweils halben Eltern (es kommt ja immer nur ein Elternteil) aufgeregt berichten, was sie heute alles gebastelt haben.
Abends in der Dämmerung, wie von Geisterhand, öffnen sich überall die Hofpforten. Und aus ihnen heraus treten Menschen mit Hunden. Ich hatte keine Ahnung, dass so viele Hunde in meiner Nähe wohnen. Die ältere Dame mit dem kräftigen Lidschatten, die die Leine ihrer Malteser-Hündin immer farblich auf ihr Outfit abstimmt. Der freundliche Herr, der genauso gemächlich dahin schlendert wie seine alte französische Bulldogge. Die korpulente Havaneser-Besitzerin, die sich immer in ihrer Flexi-Leine verheddert. Die alte weiße Schäferhundmischlingsdame mit ihrem gelassenen Halter, die nie eine Leine hat. Sie alle gehen ihre letzte Runde vor dem Schlafengehen. Von vielen weiß ich, wo sie wohnen. Ich weiß, wie ihre Hunde heißen. Manchmal weiß ich, woran sie leiden oder woran der Vorgänger gestorben ist. Ich wusste nicht, dass all diese Menschen einen Steinwurf entfernt von mir wohnen.
Ich gehe jetzt Wege, die ich nie ging. Ich weiß, wo die Rasenflächen sind. Und ich weiß genau, wo im Viertel die Mülleimer stehen. Im Treppenhaus sprechen mich Nachbarn an, mit denen ich sonst nie sprach. Der Nachbar im Erdgeschoss hat Leckerchen für Panini gekauft. Andere vermissen sie, wenn sie sie länger nicht gesehen haben und fragen nach ihr. Panini marschiert gern in Nachbarwohnungen, wenn man sie lässt. Mein Nachbar unter mir fragte mich neulich, zu welchem Bäcker ich gehe. Und ich wusste, welcher die feinsten Brötchen und welcher das bessere Brot hat. Seit neuestem gehe ich zu den Bäckern um die Ecke. Der DHL-Mann grüßt Panini auf der Straße und sagt „Heute habe ich nichts für Sie“. Plötzlich wohne ich auf dem Dorf, mitten in der Stadt. Sie gefällt mir eigentlich ganz gut, meine neue Wohngegend.
Diese und viele weitere Panini-Geschichten gibt es jetzt auch im E-Book „Ein Hund namens Brötchen“
3 Kommentare
Schon witzig, dass man als Hundehalter in kürzester Zeit die Namen all der anderen Hunde kennt, die man beim Spazierengehen trifft. Aber von den dazu gehörigen Herrchen und Frauchen kenne ich die meisten nicht beim Namen. Ist das bei dir auch so?
So isses! 🙂 Keine Ahnung wie die heißen. Es wäre aber auch einfacher, wenn die Hunde mal ihre Halter rufen würden. „Horst Schneider! Kommst du hierher??!!“
Ich liebe es, die „Hood“ mit dem Hund zu erkunden. Nur „schlendern“ wie der freundliche Herr ist mit unserem Franzosen nicht. Der schlendert eher mit mir. Aber du hast völlig recht – so ein Tier und die Rituale bringen völlig neue Blickwinkel und neue Menschen in das Leben. Dass dafür erst ein Hund her muss, ist das eigentlich Erschreckende daran. Euch weiterhin viel Spaß in der neuen Wohngegend!