Draußen

Hunde, die wir trafen.

4. Oktober 2025
Eine Parkbank im Herbst

„Hast du gehört, Schnuffi ist gestorben!“, sagt meine Bekannte und klingt dabei, als bewege sich Schnuffi etwa in der Kondolenzkategorie von Robert Redford. Ich möchte nicht hartherzig erscheinen, aber ich bin einfach der ehrliche Typ. „Wer ist Schnuffi?“, frage ich. „Den kennst du doch!“, sagt meine Bekannte. „Der kleine, lustige Braune von der Ursel!“ Eigentlich weiß ich nicht, dass Ursel Ursel heißt, aber weil ich jetzt eine Ahnung habe, wer Schnuffi gewesen sein könnte, habe ich gleich zwei Namen auf einmal gelernt. Aber ich möchte mich absichern. „Die mit dem komischen Lodenmantel?“, frage ich. „Genau die“, sagt meine Bekannte, und um meinen Lernprozess noch etwas zu unterstützen, fügt sie hinzu: „Die Ursel eben.“ Ich weiß oft nicht, wie die Hundemenschen im Viertel heißen, aber zum Glück helfen ja die unveränderlichen Kennzeichen. Meine Bekannte allerdings ist phantastisch mit Namen. „Den Fritz gibt es ja schon länger nicht mehr. Du weißt doch, der Hund von Suse und Thomas.“ „Ja, den kannte ich natürlich“, sage ich und überlege zugleich fieberhaft, ob ich auch einen verstorbenen Hund aus der Gegend zu dem Gespräch beisteuern kann. Aber ich bin nicht schnell genug. „Rosie, Suki, Luna, Rocky – eine ganze Generation ist weg.“ Ich kenne nur Nummer eins und Nummer drei, aber ich will es nicht unnötig verkomplizieren. „Rocky?“ frage ich. „Das war die Bulldogge von Herrn Janssen.“ „Bulldogge, Bulldogge …“, überlege ich. „Der mit dem Hut und dem Sprachfehler!“ „Ah ja, natürlich! Och, der Rocky …“ Wir sitzen wie Omas auf einer Parkbank in der Nachbarschaft, in der wir beide wohnen, und reden über Hunde, die nicht mehr sind. Das hat etwas Komisches, etwas Trauriges und etwas Schrullliges. „Du kennst doch die Sabine“, fährt meine Bekannte jetzt fort. „Sabine?“ „Die Anwältin mit den nervigen Enkeln.“ „Oh Gott, ja“, sage ich, und es schüttelt mich bei dem Gedanken an die beiden kleinen Jungs, die immer hysterisch kreischend alle Hunde umkreisen. „Die hat jetzt zwei Jack Russell. Zwei!“ „Verrückt!“ Wir beobachten stumm ein Mensch-Hund-Team, das jetzt auf uns zukommt, und ich warte nur darauf, dass meine Bekannte mir etwas zuraunt wie: „Der arme Bruno hat Krebs. Das wird hart für die Frau Appelneuer-Hückeswagen, wenn sie den mal gehen lassen muss.“ Aber es kommt nichts dergleichen. Als die beiden nicht mehr außer Sichtweite sind, sagt sie: „Noch nie gesehen. Wahrscheinlich auf Besuch.“

Ich kenne auch viele Hunde im Viertel, aber nicht so viele wie meine Bekannte. Die Besetzung der Hundegemeinde ist obendrein Veränderungen unterworfen. Wenn der Hund geht, verschwinden auch Herrchen oder Frauchen von der Gassistrecke. Manche tauchen kurz darauf mit einem neuen Vierbeiner wieder auf, andere fügen sich nie wieder in das unsichtbare Geflecht aus Mensch, Hund und Leine ein. Es ist ein ganz besonderer Rhythmus des Werdens und Vergehens, und wenn ich jetzt an bestimmten Wegen entlanggehe, sehe ich mich immer noch den Hundewagen schieben, eine frisch operierte Panini aus dem Wagen heben und sie nach dem Geschäft wieder in eine Decke packen. Die Hundemenschen, die jetzt dort entlanggehen, kannten das Brötchen in der Regel nicht, sie wissen nichts von ihr und meinen Erinnerungen. Fast finde ich es seltsam, dass man es mir nicht ansieht, dass ich sie noch immer mit mir führe. Manchmal, wenn ein fremder Hund freundlich auf mich zuläuft, denke ich: Vielleicht fühlt er die unsichtbare Panini. Dabei ist es viel wahrscheinlicher, dass meine kleine Tasche noch den Geruch nach Leckerchen verströmt, die ich für das Besuchstier immer dabei habe. Aber wer weiß das schon?

Meine Bekannte und ich wohnen zwar nah beieinander, aber wir kennen unterschiedliche Hunde, weil wir unterschiedliche Gassizeiten haben. Bestimmt wohnen noch viel mehr Hunde unter uns, als wir beide ahnen. Und vielleicht auch mehr schrullige Frauen, wie wir welche sind. Eines Tages werden die auf einer Parkbank sitzen, und die eine wird zur anderen sagen: „Die Heidi hat endlich auch wieder einen eigenen Hund.“ Und die andere sagt dann: „Heidi, Heidi …“ Und die erste: „Die mit den grauen Haaren, die früher mit der Panini ging. Die mit den lustigen Ohren, die nachher so krank war.“ Dann wird die andere sagen: „Ach die! Die jetzt manchmal mit der Amy geht, die auch so lustige Ohren hat!“ „Genau“, wird die erste sagen. „Ach schön“, wird dann die andere sagen. Und recht wird sie haben.

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1 Kommentar

  • Antworten Sonja 5. Oktober 2025 um 1:02

    Hab Ihre Beiträge vermisst – wie schön, wieder etwas lesen zu können!

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